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Tochter eines Ministers vergewaltigt

In der Berichterstattung war das Opfer eindeutig identifizierbar

Die Vergewaltigung einer Frau beschäftigt eine Boulevardzeitung über mehrere Tage hinweg. In der Berichterstattung ist immer wieder die Rede von dem Opfer als Tochter eines Landesministers. Deren Name wird in keinem der Berichte genannt. Der Minister jedoch wird mit vollem Namen und im Bild dargestellt. Die Überschriften lauten “(…)-Minister-Tochter vergewaltigt?”, “Sex-Prozess – Minister-Tochter unglaubwürdig?” Die Berichte stützen sich zum Teil auf Angaben des Politikers und außerdem auf Beobachtungen im laufenden Strafprozess. Die Betroffene, die sich von einem Anwalt vertreten lässt, sieht in der Berichterstattung einen Eingriff in ihr Privatleben und in ihre Intimsphäre. Allein wegen der Prominenz ihres Vaters sei sie aus der Anonymität gerissen worden. Sie selbst wollte zu keinem Zeitpunkt, dass ihr soziales Umfeld von der Tat erfahre. Die Frau sieht einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex und wendet sich an den Deutschen Presserat. Die Rechtsabteilung der Zeitung steht auf dem Standpunkt, dass an dem Strafprozess ein grundsätzliches öffentliches Berichterstattungsinteresse bestanden habe. Im Anschluss an den Prozessauftakt habe die Frau einen Mitarbeiter der Zeitung in ihrer Wohnung empfangen. Dabei habe sie weder ihren Unmut über die bereits erfolgte Berichterstattung zum Ausdruck gebracht, noch habe sie darum gebeten, von weiteren Berichten abzusehen. Der Vater der Beschwerdeführerin sei fotografiert worden, nachdem er der Zeitung ein Interview gegeben und gegen eine Berichterstattung keinen Einwand erhoben habe. In keinem der Artikel seien Name, Vorname oder Wohnort der Frau oder der Tatort genannt worden. Eine Identifizierung der Beschwerdeführerin ohne Angabe ihres Wohnorts und ihres Vornamens sei allein durch die Nennung des Familiennamens und der Position des Vaters nicht möglich gewesen. Auf eine Veröffentlichung der “auf dem Markt” angebotenen Fotos der Frau sei – so die Rechtsabteilung des Blattes – bewusst verzichtet worden. (2005)