Vorwürfe unter Namensnennung
Lehrer soll einen Schüler geohrfeigt und getreten haben
Ein Anzeigenblatt berichtet auf seinen Seiten 1 und 3 über angebliche Tätlichkeiten eines Lehrers während einer Klassenfahrt seiner Hauptschule nach Borkum. Am Abend vor der Heimreise hätten drei 15-jährige Jungen eine Art Mutprobe ausgeheckt, schreibt das Wochenblatt. Einer von ihnen habe den Lehrer, der mit Vornamen Rudolf heiße, laut “Rudi” genannt. Daraufhin solle der Klassenleiter ins Zimmer gestürmt sein, dem Übeltäter eine Ohrfeige verpasst und ihn als “Saukrüppel” beschimpft haben. Anschließend solle der wütende Pädagoge den Jungen sogar noch aus dem Bett gezerrt und mehrere Male getreten haben. Das mutmaßliche Opfer wird zusammen mit einem der beteiligten Klassenkameraden zweimal im Foto gezeigt. Beide werden wie ihr Lehrer mit vollem Namen genannt. Ausführlich schildert das Blatt die Auswirkungen des Vorfalls. Mütter von Schülern werden zitiert, die Rektorin der Schule wird erwähnt. Der Pressesprecher der zuständigen Bezirksregierung habe mitgeteilt, dass Vorermittlungen angeordnet seien. Der Sprecher der zuständigen Kriminalpolizei habe bestätigt, dass gegen den Lehrer drei Anzeigen laufen, eine wegen Beleidigung und zwei wegen Körperverletzung. Inzwischen hätten auch andere Eltern Anzeige erstattet, meldet das Blatt. Einmal wegen andauernder Beschimpfung einer Schülerin, zum anderen wegen eines weiteren tätlichen Angriffs gegen einen Siebtklässler vor drei Jahren. Die Eltern wollten, dass der Mann suspendiert werde. Der Beschuldigte habe es auf Anraten seines Anwalts abgelehnt, im Wochenblatt zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen: “Es ist ein laufendes Ermittlungsverfahren. Anklage ist bis dato nicht erhoben. Deshalb werde ich dazu nichts sagen.” Der dbb beamtenbund und tarifunion beantragt in Wahrnehmung der Interessen des Hauptschullehrers beim Deutschen Presserat, dem Anzeigenblatt eine Rüge zu erteilen. Der Betroffene werde vorverurteilt, und zwar zu einem Zeitpunkt des Verfahrens, zu dem die Verteidigung noch nicht einmal Einsicht in die Ermittlungsakte habe nehmen können. Durch die Nennung des vollen Namens werde der Lehrer in seinem Privatleben und in der Ausübung seines Berufs beeinträchtigt. Allein die Art und Weise der Aufmachung des Presseartikels unter Abbildung der vermeintlichen Opfer dürften im Ergebnis als sensationelle Darstellung bezeichnet werden. Der Redaktionsleiter des Anzeigenblatts räumt ein, einen schwerwiegenden Fehler gemacht zu haben. Die zuständige Redakteurin habe ihn am Tag nach dem Druck der Ausgabe angerufen und gesagt, sie wisse selbst nicht, wie ihr das habe passieren können. Die Redaktion habe den Lehrer unmittelbar nach dem Vertrieb der Ausgabe ein Entschuldigungsschreiben geschickt. Er, der Redaktionsleiter, habe mit ihm selbst telefoniert und ihm größtmögliches Entgegenkommen zugesichert. Außerdem habe das Anzeigenblatt in den folgenden Ausgaben ausführlich über Schüler berichtet, die sich hinter den Betroffenen stellen. Auch habe es zahlreiche gegen die Berichterstattung gerichtete Leserbriefe abgedruckt. In der Sache selbst habe man mit dem betroffenen Lehrer vereinbart, nicht mehr weiter zu berichten. (2005)