Nicht immer muss die Gegenseite angehört werden
0526/23/1-BA
Eine Tageszeitung berichtet zum wiederholten Mal über einen langwierigen Streit zwischen einer Nationalparkverwaltung und einem Verein von Tier- und Naturschützern. Der Verein hatte 2021 den Vorwurf erhoben, im Nationalpark würden in der Schonzeit Gämsen geschossen, um damit Bartgeier-Junge zu füttern. Die Parkverwaltung bestritt dies und klagte erfolgreich gegen diese Behauptung. Als der Verein nun mit seiner Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) scheitert, berichtet die Lokalzeitung darüber ausführlich und zitiert dabei aus einer Pressemitteilung des Nationalparkleiters: Er habe sich gegen eine „grobe Unwahrheit“ des Vereins gewehrt. Dessen Vorsitzende wolle die einstimmige OLG-Entscheidung aber nicht hinnehmen und weiter durch die Instanzen gehen. Bei einer erneuten Niederlage werde es für den Verein und seine Mitarbeiterin teuer. „Ob das dafür erforderliche Geld des Vereins hier im Sinne der Vereinssatzung verwendet worden ist, kann aus guten Gründen bezweifelt werden“, heißt es laut Zeitung in der Nationalpark-Mitteilung. „Der unter dem Deckmantel des Naturschutzes agierende Verein und seine Unterstützer haben nicht verstanden, dass wir im Nationalpark keine klassische Jagd betreiben“, so der Nationalparkleiter. „Der Verein bezweckt mit seinen Aktivitäten trotz der in einigen Bereichen des Schutzgebiets ohnehin schon sehr hohen Wildbestände einen weiteren Populationsanstieg des Schalenwildes. Dies gefährdet das ökologische Gleichgewicht im Nationalpark und die Gesundheit des Wildes“, so der Nationalparkleiter. - Der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Zeitung gegen den Grundsatz verstoßen habe, immer auch die Gegenseite anzuhören: Die Nationalparkleitung habe sich äußerst kritisch und zudem spekulierend über den Verein geäußert, ohne dass dieser dazu Stellung nehmen konnte. - Die Zeitung verweist in ihrer Entgegnung darauf, dass sie über die Streitigkeiten zwischen dem Verein und dem Nationalpark von Anbeginn berichtet habe. Dabei habe sie zunächst vor allem die Vorwürfe des Vereins ausführlich dargestellt. Immer wieder habe sie Äußerungen von beiden Seiten aufgegriffen. Die Standpunkte beider Konfliktparteien seien dem interessierten Leser nach jahrelanger gerichtlicher Auseinandersetzung hinlänglich bekannt. - Der Beschwerdeausschuss erkennt in dem strittigen Bericht keinen Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht und erklärt die Beschwerde einstimmig für unbegründet. Der Tatsachenkern des Artikels betrifft den Ausgang eines Gerichtsverfahrens. Dabei legt die Redaktion die Quelle ihrer Informationen offen, nämlich eine Pressemitteilung des Nationalparks. Der Leserschaft wird damit hinreichend transparent gemacht, dass hier die erfolgreiche Prozesspartei Aussagen über die Gegenpartei macht. Da die kritischen Zuschreibungen als Meinungsäußerungen einer Konfliktpartei im Nachgang eines längeren Rechtsstreits erkennbar sind, musste die Redaktion nicht zwingend eine Stellungnahme des Vereins einholen.