Arzt selbst Opfer von Missständen?
Fehldiagnose mit schweren Folgen: Name durfte nicht genannt werden
Unter der Überschrift „Verärgert über Ferndiagnose“ berichtet eine Regionalzeitung über das mutmaßliche Fehlverhalten eines namentlich genannten Arztes. Dieser, so das Blatt, habe während seines Wochenenddienstes einen Notruf nicht ernst genug genommen. Anstatt die Patientin wegen ihrer telefonisch geschilderten Kopfschmerzen ins Krankenhaus zu schicken, habe er die Einnahme eines Schmerzmittels empfohlen. Die Patientin sei später mit Gehirnblutungen auf die neurologische Intensivstation eines Krankenhauses gebracht worden. Der Anwalt des Arztes hält die Namensnennung für unverhältnismäßig. Sein Mandant sei damit der Gefahr ausgesetzt, in der öffentlichen Meinung herabgesetzt zu werden. Er bezeichnet die Berichterstattung als einseitig. Der Redakteur habe nicht alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen ausgeschöpft. Er habe mit der Behauptung, die Patientin habe es einer besorgten Nachbarin zu verdanken, dass sie überhaupt noch lebe, gegen die Wahrheitspflicht verstoßen. Der Anwalt wendet sich an den Deutschen Presserat. Die Redaktion weist ausdrücklich darauf hin, dass der Arzt gegenüber der Zeitung Versäumnisse eingeräumt habe. Die Namensnennung sei journalistisch motiviert gewesen, da die örtliche Ärzteschaft einen öffentlichen, dem Gemeinwohl dienenden Auftrag wahrnehme, nämlich die ärztliche Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Notrufregelung und Hausärztemangel seien in der Stadt ein heikles Thema. Der konkrete Fall sei dargestellt worden, um zu zeigen, was passieren könne, wenn die Notrufzentrale einen Anrufer an einen Arzt verweise, der – ohne den Patienten zu sehen oder zu kennen – eine unzutreffende Ferndiagnose stelle. Das öffentliche Interesse an dem Fall überwiege die privaten Interessen des Beschwerdeführers. Der sei im Übrigen am Tag nach dem Erscheinen des beanstandeten Artikels umfassend zu Wort gekommen. Der Artikel – so die Redaktion weiter – sei sorgfältig recherchiert gewesen. Der Redakteur habe mit den Angehörigen, mehrfach mit dem Arzt und auch mit einem Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung gesprochen. Der Arzt habe offen zugegeben, dass er „den Fall vielleicht zu wenig hinterfragt“ habe. Für ihn habe kein Notfall vorgelegen. Die Passage, wonach für die Patientin Lebensgefahr bestanden habe, sei durch die recherchierten Fakten gedeckt. (2006)