Fotos von Terroropfern
Bestandsaufnahme des täglichen Sterbens in Bagdad
„Wird die Welt jetzt sicherer?“ fragt eine Boulevardzeitung in ihrer Schlagzeile zu einem Artikel über den Bombenterror in Bagdad. Dem Beitrag sind einige Fotos beigestellt, die u.a. zwei Leichen sowie einen vor Schmerzen schreienden Menschen zeigen. In der Unterzeile heißt es: „Die blutüberströmten Leichen eines Mannes und eines Kindes liegen vor einer Polizeiwache bei Bagdad. Auf dem Foto links schreit ein Mann vor Schmerzen. 17 Menschen wurden getötet, als ein Selbstmord-Attentäter wenige Stunden nach der Festnahme Saddams eine Bombe zündete“. Ein Leser des Blattes stellt in seiner Beschwerde beim Deutschen Presserat fest, dass die beiden Toten gut zu erkennen seien. Solche Fotos gehörten seiner Meinung nach nicht in die Zeitung. Die Angehörigen der verstorbenen Personen wollten sicherlich nicht solche Fotos sehen. Der Chefredakteur der Zeitung hält die Beschwerde für unbegründet, da der Abdruck der Fotos im Rahmen der Berichterstattung über die Eskalation des Irak-Krieges nicht gegen Ziffer 11 des Pressekodex verstoße. Weder die Platzierung auf Seite 4 noch die schwarzweißen und äußerst grobkörnigen Aufnahmen in ihrer verpixelten, detailfreien „Qualität“ hätten irgendeine reißerische oder sensationelle Konnotation. Sie seien lediglich eine Bestandsaufnahme des täglichen Sterbens in der irakischen Hauptstadt. Der Chefredakteur verweist darauf, dass die Verhaftung Saddam Husseins die Hauptschlagzeile des Tages gewesen sei und seine Zeitung sich zu diesem Thema auf vier Seiten geäußert habe. Der Nahostexperte Peter Scholl-Latour habe im Blatt vor der Hoffnung gewarnt, dass die Verhaftung zur sofortigen Befriedung des Iraks führen würde. Genau diese Einschätzung illustrierten die Fotos vom Bombenanschlag wenige Stunden nach der Verhaftung. Sie machten auf einen Blick deutlich, dass der Krieg gegen Saddam zwar gewonnen worden, die Zukunft des Iraks aber ungewiss sei und dass weiterhin Menschen sterben würden. Die Reduzierung eines Sachverhalts auf seine Essenz – in diesem Fall: das Sterben im Irak dauere trotz Saddams Verhaftung an – gelinge nur durch Fotos. Eine bloße Meldung über die neuen Bombenopfer hätte nicht einmal ansatzweise vergleichbare Wirkung gehabt. Angesichts der Bedeutung des Irak-Konflikts für die Golfregion, aber auch für die gesamte westliche Welt sei daher der Abdruck der beanstandeten Aufnahmen notwendig, um das Ausmaß der Gewalt im Irak und dessen Entwicklung klar und angemessen zu dokumentieren. Demgegenüber sei auch der weitere Vorwurf der mangelnden Pietät journalistisch ohne Belang. Entscheidend sei allein, ob der Informations- und Verdichtungsgehalt eines Fotos das öffentliche Interesse an seinem Abdruck rechtfertige. Beides sei im Fall der beanstandeten Aufnahmen gegeben. (2003)