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Fotografieren im Gottesdienst

Kein Beleg für die Inszenierung einer Störung durch die Zeitung

Ein Boulevardblatt schildert Diskussionen über ein Künstlerhaus in einem Berliner Stadtteil, das unter dem Titel „When love turns to poison“ (Wenn Liebe Gift wird) sexuelle Phantasien ausstellt, die Kritiker als Kinderpornos bezeichnen. In diesem Zusammenhang wird die verantwortliche Bezirksbürgermeisterin, die sich gegen die Kritik von Kinderschützern wehrt und dabei Parallelen zum Dritten Reich zieht, in der Schlagzeile aufgefordert zurückzutreten. Wie die Zeitung mitteilt, habe es in der benachbarten Kirche Dutzende von Protesten gegen die Ausstellung gegeben. Unter denen, die den Schluss der Schau gefordert hätten, habe sich auch ein stadtbekannter Kirchenfanatiker befunden, der zuvor zehn Bilder von den Wänden gerissen habe. Der Pfarrer der genannten Kirchengemeinde beschwert sich beim Deutschen Presserat. Er sei am Karfreitag kurz vor dem Gottesdienst von einer Reporterin der Zeitung angesprochen und gefragt worden, was er von der Ausstellung in dem Künstlerhaus halte. Er habe erklärt, dass er die Ausstellung nicht kenne, sie sich aber noch ansehen werde, um sich eine Meinung zu bilden. Kurze Zeit später sei die Frau mit einem Mann erschienen, der sich als Fotograf der Zeitung vorgestellt habe. Er habe ein Bild des Pfarrers in der Kirche machen wollen. Er habe dies abgelehnt, da es dafür keinen Grund gebe. Beide hätten daraufhin die Kirche verlassen. Der Karfreitagsgottesdienst sei zunächst ohne Störungen verlaufen, dann aber sei laut schreiend ein Mann erschienen und habe Parolen gebrüllt. Er habe der Gemeinde vorgeworfen, nichts gegen eine pädophile Ausstellung in der Nachbarschaft zu unternehmen. Im Weggehen habe er noch Flugblätter in die Gemeinde geworfen. Von Chormitgliedern habe er später erfahren, dass der Fotograf der Zeitung von der Empore aus die Szene aufgenommen habe. Dies sei ohne seine Erlaubnis bzw. die Genehmigung durch den Kirchenrat geschehen. Der Ablauf der Störung lasse nur den Schluss zu, dass sie mit Hilfe der Zeitung arrangiert worden und der Störer des Gottesdienstes von der Reporterin instrumentalisiert worden sei. Die Chefredaktion des Blattes weist den Vorwurf, die Zeitung habe den Fanatiker zu seinen Ausfällen angestiftet, auf das Schärfste zurück. Richtig sei, dass ein freier Fotograf zum Künstlerhaus geschickt worden sei, um dort die aktuelle Situation zu beobachten. Dabei habe er zufällig den stadtbekannten und mittlerweile mehrfach gerichtlich verurteilten Kirchenstörer erkannt, der sich langsam in Richtung Kirche bewegt habe. Der Fotograf sei ihm gefolgt und habe sich auf der Empore zum Chor gesetzt. Von dort habe er den Gottesdienst verfolgt und den Auftritt des Störers fotografiert. Anschließend habe er die Kirche verlassen, ohne von irgendjemandem angesprochen worden zu sein. (2004)