Entscheidungen finden

Krankheitsbild

Einseitige Darstellung des Chronischen Müdigkeitssyndroms

Unter der Überschrift “Krankheiten, die der Himmel schickt” berichtet ein Nachrichtenmagazin über die so genannten “neuen Krankheiten”. Manche Leiden gebe es nur, weil die Betroffenen etwas dafür bekommen: Freizeit, Rente, Trost. Nützliche Krankheiten wie Schleudertrauma und Rentenneurosen verursachten in Deutschland Kosten in Milliardenhöhe. In armen Ländern seien diese Befindlichkeiten unbekannt. Die Zeitschrift verweist auf ein Buch des kanadischen Nervenarztes Andrew Malleson, der als Paradebeispiel für eine nützliche Krankheit ein Konglomerat von Erschöpfungszuständen beschreibe, wie sie vor allem in den Mittelschichten entwickelter Länder zu beobachten seien. Sie alle könne man so gut wie nie kurieren, aber trefflich therapieren. Schon 1934 hätten findige Mediziner das Chronische Müdigkeitssyndrom (CFS) postuliert, das angeblich durch unbekannte Viren übertragen werde. Daraus sei die derzeit beliebte Fibromyalgie hervorgegangen, ein nunmehr dem orthopädischen Formenkreis zugeordnetes Leiden. “Anstatt Krankheiten zu heilen”, zitiert das Magazin den Buchautor, “fabriziert die Medizin neue.” Eine Leserin des Beitrages beschwert sich beim Deutschen Presserat. Sie wirft dem Autor eine schlechte Recherche vor und unterstellt ihm Werbung für sein Buch “Die Krankheitserfinder”. Das Chronische Müdigkeitssyndrom (korrekt: Chronic-Fatigue-Syndrome, kurz: CFS) sei eine ernsthafte chronische Erkrankung, die zu Erwerbsunfähigkeit und Behinderung führen könne und häufig mit langjährigem schweren körperlichen und seelischen Leid verbunden sei. Wenn in der Erforschung dieses Krankheitsbildes heute auch noch viele Fragen offen seien, so sei der Umstand, dass es sich dabei gerade nicht um eine Bagatellerkrankung handele, aus wissenschaftlicher Sicht seit langem völlig unstrittig. Die Krankheit komme tatsächlich in allen Schichten und ethnischen Gruppen vor. Da die genauen Ursachen der Erkrankung noch unklar seien, gebe es derzeit keine allgemeine Therapieempfehlung. Zudem blieben viele Patienten nicht selten sehr lange Zeit ohne Diagnose und damit ohnehin sich selbst und ihrem Schicksal überlassen. Das Justitiariat des Verlags erklärt in seiner Stellungnahme, der Beitrag beschäftige sich mit einer wissenschaftlichen Debatte, die auch in der Fachliteratur sehr kontrovers geführt werde. Zu CFS schreibe man lediglich, dass es erst seit 1934 bekannt sei und auf bis heute nicht bekannte Viren zurückgeführt werde. Die Diskussion über dieses Leiden sei noch längst nicht abgeschlossen, wie aus Fachpublikationen hervorgehe. Die Veröffentlichung stelle nicht in Frage, dass die Patienten bei den meisten der erwähnten Erkrankungen unter verschiedenen Symptomen zum Teil schwer leiden. Sie beschreibe lediglich, dass es eine Reihe von Krankheiten gebe, die aus unterschiedlichen Gründen nur zu bestimmten Zeiten bzw. in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen auftreten. Das Magazin referiere in dem Beitrag wissenschaftliche Meinungen und schließe sich in Teilen diesen Erkenntnissen an. Dies sei Ausdruck der Meinungsfreiheit und keine Diskriminierung des anderen Standpunktes, auch wenn nachvollziehbar sei, dass jemand, der CFS habe, Anstoß an der Darstellung nehme. (2004)