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Fotos einer Piercing-Szene

Beschwerdeführerin sieht Menschen- und Frauenwürde verletzt

Unter der Überschrift „Sado-Maso-Folter live im TV!“ berichtet eine Boulevardzeitung, dass sich eine „Big-Brother“-Kandidatin vor laufender Kamera eine Brustwarze habe durchstechen lassen. „Warum lässt sich dieses Mädchen vor der TV-Kamera quälen?“ fragt das Blatt in einer zweiten Schlagzeile, schildert die Piercing-Szene und zitiert abschließend Politiker, Jugendschützer und Medienforscher, die sich kritisch zu dem Vorgang äußern. Drei Fotos zeigen die betroffene junge Frau auf einem Tisch liegend, während ein Piercing-Fachmann Hand anlegt. Daniela habe offenbar nicht gewusst, worauf sie sich eingelassen habe. Das Piercing habe unglaublich weh getan. Die Zeitung spricht von widerlichen Bildern und stellt entrüstet fest, dass im „Schmuddel-TV“ alle Schamgrenzen fallen. Die Frauenbeauftragte eines Landkreises sieht in der Veröffentlichung eine Verletzung der Menschenwürde und einen Verstoß gegen die Würde der Frauen, da hier unmenschliche Gewaltanwendung verharmlost werde. Sie bekundet gegenüber dem Deutschen Presserat, dass die Fotos über die Grenze des Erträglichen gehen. Die Überschrift „Sado-Maso-Folter live im TV!“ suggeriere, dass hier tatsächlich Folterpraktiken gezeigt würden. Auch wenn die betroffene Person das Piercing mit ihrem Einverständnis habe machen lassen, so sei die Darstellung auf dem Foto dennoch nicht zumutbar. Nach Ansicht ihres Frauenforums handele es sich hierbei um eine Misshandlung, erklärt die Beschwerdeführerin. Diese suggeriere, dass Gewalt und Demütigung akzeptabel seien, soweit Menschen dabei freiwillig mitmachen. Angesichts zahlloser misshandelter, vergewaltigter Frauen und Kinder sei es nicht hinzunehmen, dass solche Szenen öffentlich dargestellt werden mit dem Ziel, Zuschauer- und Leserquoten zu erhöhen. Die Rechtsabteilung des Verlages kann in der Veröffentlichung keine Verstöße gegen den Pressekodex sehen. Körperpiercings seien eine modische Erscheinung, bei der nicht nur das schmückende Element im Vordergrund stehe, sondern auch der Schmerz beim Stechen selbst als Grenzerfahrung Teil des Trends sei. Dabei sei bei Männern wie auch bei Frauen das Piercen der empfindlichen Brustwarze offensichtlich eine besondere Herausforderung. Mit Demütigung oder sexualisierter Gewalt habe dieses Phänomen jedoch nichts zu tun. Piercing sei zwar ein kontroverses Thema, jedoch spiele die Diskriminierung von Frauen in der Diskussion darüber keine Rolle. Vielmehr gehe es darum, ob diese Form der Selbstverschönerung noch mit den guten Sitten vereinbar sei. Genau diese Kontroverse nehme der kritisierte Artikel auf. Dass die Überschrift recht polemisch formuliert sei, möge nicht jedem Geschmack entsprechen, stelle jedoch keine Verletzung der presseethischen Grundsätze dar. In dem Beitrag werde weder Gewalt verharmlost, noch als akzeptabel dargestellt. Die Assoziation des Piercing-Aktes mit einer Folterszene drücke gerade das Unverständnis über eine derartige Selbstverstümmelung aus und sei eine legitime Meinungsäußerung. Zudem würden in dem Beitrag auch kritische Stimmen über die Sendung veröffentlicht. Die junge Frau habe das Piercing ausdrücklich und selbstbestimmend in Auftrag gegeben und sei mit der Ausstrahlung der Szene einverstanden gewesen. Sie habe die spektakuläre Aktion bewusst veranlasst, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Darüber hinaus hätten sich alle Containerbewohner für die Teilnahme an der Sendung honorieren lassen. Schon deshalb scheide eine Verletzung der Menschenwürde als Argument gegen die Veröffentlichung aus. Die Fotos zeigten zudem keine Gewaltanwendung und seien nicht brutal. Sie zeigten einen Eingriff, der mit einer Schönheitsoperation vergleichbar sei. Dies sei mittlerweile in den Medien üblich. Außerdem lasse sich am Gesichtsausdruck der jungen Frau deutlich ablesen, dass sie nicht fremdbestimmt und kein Opfer von Gewalt sei. Es gehöre zu den Aufgaben einer Zeitung, sich auch mit spektakulären Entwicklungen in den Medien auseinander zusetzen. Setze man die Kritik der Beschwerdeführerin fort, so wäre künftig jede Berichterstattung über ähnliche Themen stark erschwert und eine kritische Auseinandersetzung mit Formaten wie „The Swan“ würde unmöglich werden. Es könne nicht im Sinne des Pressekodex sein, Kritik an Medienphänomenen dieser Art wegen angeblicher Gewaltverherrlichung zu beschneiden. (2004)