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Foto in unzulässigem Kontext

Boulevardblatt fotografierte Vater mit Kind bei einer Demonstration

Unter der Überschrift “Chaoten, was tut ihr diesem Kind an?” berichtet eine Boulevardzeitung, dass 2000 Linke 150 Neonazis eingekesselt und am Marsch durch die Stadt gehindert hätten. Eines der Fotos, die den Beitrag illustrieren, zeigt ein kleines Mädchen zu Füßen von Polizisten und dahinter sitzend seinen Vater. Ein dicker roter Pfeil weist von der Überschrift zu dem Foto des Kindes. Drumherum hätte es Sitzblockaden und Straßenschlachten gegeben, seien Steine geflogen, hätten Barrikaden gebrannt, schreibt das Blatt. In diesem Chaos hätte das kleine Mädchen gespielt. Vater und Kind gehörten zu den Gegendemonstranten. Der Vater beschwert sich beim Deutschen Presserat über die Bildveröffentlichung. Das Foto seiner Tochter sei eindeutig ein Porträtfoto, zu dessen Veröffentlichung es seiner Einwilligung bedurft hätte. Der Fotograf hätte dazu Gelegenheit gehabt. Er selbst sei dagegen nicht in der Lage gewesen, mit dem Fotografen Kontakt aufzunehmen, da er sich hinter der Polizeikette befunden habe. Diese Situation sei in unlauterer Weise ausgenutzt worden. Zudem könne hier von einer “wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit” nicht die Rede sein. Während der Protest überwiegend friedlich und in einer volksfestartigen Atmosphäre verlaufen sei, zeichne der Artikel, indem er wenige Auseinandersetzungen am Rande in den Mittelpunkt stelle, ein Bild von Straßenschlachten, Chaos und Gewalt. Möge man die Schilderung der Gesamtsituation noch als Wiedergabe einer fragwürdigen, aber als solche zu akzeptierenden Autorenmeinung bezeichnen, so sei der Abdruck des Fotos in diesem Zusammenhang und die Schilderung der Situation, in der es entstanden sei, schlichtweg falsch. Das Bild sei fernab von den Orten, an denen wesentlich später eine Bierflasche geflogen sei und Müllcontainer angezündet worden seien, entstanden. Wie auf dem Foto zu erkennen sei, hätten sich die Gegendemonstranten ruhig und in keiner Weise aggressiv verhalten. Die Polizisten hätten zu diesem Zeitpunkt bereits ihre Helme abgelegt. Die Lage sei völlig unbedrohlich und seine Tochter keiner Gefährdung ausgesetzt gewesen. Das emotionsträchtige Bild eines kleinen Kindes vor martialisch anmutenden Polizeistiefeln sei geeignet, seinen Ruf als Vater zu schädigen sowie ihn und sein Kind zu gefährden. Auf rechten Internetseiten und in Flugblättern würden nämlich regelmäßig “Jagdaufrufe” mit Fotos von “linken” Gegendemonstranten veröffentlicht. Die Rechtsabteilung des Verlages hält die Beschwerde für unbegründet. Bei der Versammlung habe es sich um eine nicht genehmigte Demonstration gehandelt. Aufgabe der Polizei sei es gewesen, die angemeldete Demonstration der Neonazis zu bewachen und notfalls auch gegen die Gegendemonstranten vorzugehen. Auf Grund dieser Situation sei es nicht ungefährlich gewesen, mit einem kleinen Kind an dem Protest teilzunehmen. Aus der Sicht des Fotoreporters und der Redakteurin vor Ort habe der Beschwerdeführer dadurch, dass er mit seinem Kind direkt vor der Polizeikette gesessen habe, das Kind den drohenden Gewalttätigkeiten direkt gegenübergestellt. Für die indirekte Bezeichnung als “Chaot” habe sich die Redaktion bei dem Vater des Kindes entschuldigt, wenngleich es sich um eine zulässige Wertung gehandelt habe. Die Anfertigung und Veröffentlichung des Fotos sei zulässig gewesen. Der Fotograf habe in Sichtweite des Beschwerdeführers gestanden. Dieser hätte sich also leicht dagegen aussprechen können, fotografiert zu werden. Er habe die Aufnahme jedoch gebilligt und direkt in die Kamera geschaut. Dadurch, dass er an der nicht angemeldeten Gegendemonstration teilgenommen habe und dabei von einem Kleinkind begleitet worden sei, sei er ein besonders auffälliger Teilnehmer dieser Sitzblockade gewesen. Die Veröffentlichung einer Einzelaufnahme von ihm und seiner Tochter sei daher nach dem Kunsturhebergesetz zulässig gewesen. Im Übrigen sei die Beteiligung eines Kindes im Krabbelalter an einer Sitzblockade ein Ereignis der Zeitgeschichte von großem Informationsinteresse. (2004)