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Vorverurteilung

Vorwürfe gegen Ärztin werden als Tatsachenbehauptung dargestellt

Eine Boulevardzeitung berichtet unter der Überschrift “Sex neben einem gefesselten Kind” über das Strafverfahren gegen eine Ärztin, die ihre eigene 13-jährige Tochter vier Tage lang mit Eisenringen an ein Bett gefesselt und einem grauenhaften Martyrium ausgesetzt haben soll. Die Anklage laute auf Freiheitsberaubung und Kindesmissbrauch. Vorname, Anfangsbuchstabe des Nachnamens, Alter und Beruf der Angeklagten werden genannt. Auf einem Foto wird die Frau im Profil gezeigt. Ihre Augenpartie ist abgedeckt. Die Betroffene legt durch ihren Anwalt Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Sie ist der Ansicht, dass sie auf dem Gerichtsflur unzulässigerweise verdeckt und nach Paparazzi-Art fotografiert worden sei. Das Foto sei entgegen ihrer ausdrücklichen Erklärung veröffentlicht worden. Die Beschwerdeführerin hält zudem die Nennung ihres Namens für unzulässig, da es sich bei ihr nicht um eine relative Person der Zeitgeschichte handele. Darüber hinaus sei der Artikel auch vorverurteilend, da sowohl die Überschrift als auch der Text des Artikels dem unkundigen Leser eine bislang nicht gerichtlich festgestellte Täterschaft der Beschwerdeführerin suggerierten. In krasser Missachtung der Unschuldsvermutung werde sie eindeutig identifizierbar an den öffentlichen Pranger gestellt. Die Rechtsabteilung des Verlages bittet, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Das Fotografieren im Gerichtsflur sei gestattet gewesen, so dass eine unlautere Beschaffung des veröffentlichten Bildmaterials nicht gegeben sei. An der Berichterstattung über den Fall habe ein öffentliches Interesse bestanden, da die der Beschwerdeführerin vorgeworfene Straftat weit über das Maß alltäglicher Kriminalität hinausgehe. Die Berichterstattung gebe den Verfahrensstand und den Inhalt der mündlichen Verhandlung zutreffend wieder, so dass auch eine Vorverurteilung nicht gegeben sei. Auf dem Foto sei die Betroffene ausreichend unkenntlich gemacht. Auch sonst ließen sich dem Text keine Informationen entnehmen, die auf die Identität der Beschwerdeführerin schließen ließen. (2003)