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Religionshinweis war überflüssig

Zeugen Jehovas in einem Bericht über Gewalttat diskriminiert

“Beil-Attacke gegen die Ex. Zeuge Jehovas vor Gericht” titelt eine Boulevardzeitung. In Überschrift und Text wird berichtet, dass der Angeklagte Zeuge Jehovas sei und das Verhaltensmuster zwischen Mann und Frau in dieser Glaubensgemeinschaft eine wohl nicht unerhebliche Rolle bei der Tat gespielt habe. Auslöser für die Tat, so der Autor weiter, sei der Umstand gewesen, dass die Frau den Tatverdächtigen einige Wochen vor der Bluttat verlassen habe. Außerdem wird sein “cholerisches Verhalten” erwähnt, das er nach Auskunft von Zeugen im Vorfeld der Tat immer wieder an den Tag gelegt habe. Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas sieht in der Berichterstattung die Gefahr einer Verallgemeinerung. Beim Leser entstehe der Eindruck, die Glaubenszugehörigkeit habe das Verhalten des Angeklagten gefördert. Der Vertreter der Glaubensgemeinschaft, der den Deutschen Presserat anruft, weist darauf hin, dass der Tatverdächtige seit geraumer Zeit kein Mitglied der Gemeinschaft mehr sei. Der Redaktionsleiter der Zeitung sieht seine Zeitung als weltoffen und politisch liberal an. Sie lehne pauschale Vorurteile gegen Menschen bestimmter Herkunft, Abstammung und Religion grundsätzlich ab. lm vorliegenden Fall habe man nach Erklärungen für die spektakuläre Gewalttat gesucht. Eine solche Erklärung schien die Glaubenszugehörigkeit, die zur Tatzeit noch bestand, möglicherweise zu sein. Die Zeugen Jehovas, so der Redaktionsleiter weiter, lehrten, dass “Frauen ihren Männern untertan” sein sollten. Eine Frau, die ihren Mann oder Freund verlassen wolle, verstoße gegen diese Regel. Ein solches Ereignis löse bei einem vom Glauben und den Traditionen der Glaubensgemeinschaft geprägten Mann möglicherweise eine heftigere Reaktion aus als bei einem liberaler Denkenden. Dieser von der Redaktion geäußerte Gedanke habe sich natürlich ausschließlich auf den vorliegenden Fall und nicht auf die gesamte Glaubensgemeinschaft bezogen. Dass bei dem Beschwerdeführer ein falscher Eindruck entstanden sei, bedauere die Redaktion. (2006)