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Eine Kerze am Sarg des Peinigers

Voller Name des Entführungsopfers durfte genannt werden

Eine Boulevardzeitung berichtet unter der Überschrift “Natascha – Abschied von ihrem toten Peiniger” über die Beisetzung des Mannes, der das Mädchen jahrelang im Keller seines Hauses gefangen gehalten hatte. Der volle Name der jungen Frau wird genannt. Es wird berichtet, sie habe in der Gerichtsmedizin am Sarg ihres Entführers eine Kerze angezündet. Der Beisetzung selbst habe sie nicht beigewohnt. Ein Leser kritisiert, dass die Zeitung gegen Ziffer 8 des Pressekodex und das darin definierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen habe, und wendet sich an den Deutschen Presserat. Die Veröffentlichung mache die junge Frau und ihr wie auch immer geartetes Verhältnis zu dem mutmaßlichen Täter zum Gegenstand öffentlicher und privater Spekulationen. Genau dies habe Natascha ausdrücklich verhindern wollen. Die Rechtsabteilung der Zeitung rechtfertigt die Berichterstattung mit einem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über das Leben des Entführungsopfers. Dieses liege in der Einzigartigkeit dieses Kriminalfalles begründet. Es sei nicht erkennbar, inwieweit die Privat- oder gar Intimsphäre von Natascha durch die Schilderung ihres Abschieds in erheblicher Weise beeinträchtigt sein könnte. Die Zeitung habe ihre Berichterstattung auf die Auskunft eines österreichischen Kriminalbeamten gestützt, der in dem Artikel zitiert werde. Man habe das einstige Entführungsopfer also nicht behelligt, um an diese Informationen zu gelangen. (2006)