“In den Fesseln der Familientradition”
Ethnische Herkunft des Angeklagten im Mittelpunkt des Strafverfahrens
“Gefangen in den Fesseln der Tradition” – so überschreibt eine Regionalzeitung einen Prozessbericht. Dabei geht es um einen 25-jährigen, der wegen Raubes und Körperverletzung angeklagt ist. Der in dem Bericht als “Roma” bezeichnete Angeklagte wurde auf Geheiß seiner Familie zwangsverheiratet, womit er – so sein Strafverteidiger – nie fertig geworden ist. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht in dem Artikel einen Verstoß gegen Ziffer 12 des Pressekodex sowie Richtlinie 12.1. Die Minderheiten-Kennzeichnung sei für das Verständnis des Tathergangs nicht erforderlich und schüre Vorurteile. Auch sei die Kennzeichnung des angeklagten jungen Mannes als “Roma” nicht mit den angeblichen “Fesseln der Tradition” seiner Familie zu rechtfertigen. Eine Einflussnahme von Eltern auf die Partnerwahl ihrer Kinder gebe es auch in anderen Teilen der europäischen Bevölkerung in unterschiedlicher Form. Der Zentralrat wendet sich an den Deutschen Presserat. Die Chefredaktion der Zeitung steht auf dem Standpunkt, dass sie in vollkommener Übereinstimmung mit den publizistischen Grundsätzen des Presserats berichtet habe. Die Berichterstattung basiere auf den Ausführungen des Strafverteidigers. Der familiäre Hintergrund des Angeklagten sei von seinem Anwalt in den Mittelpunkt des Verfahrens gestellt worden. Das konnte in dem Bericht nicht unerwähnt bleiben. Im Übrigen seien die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten beachtet worden. Dies sei daran zu erkennen gewesen, dass über den Angeklagten nicht identifizierend berichtet worden sei. (2005)