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Zwei Antworten zusammengezogen

„Voll und ganze“ und „überwiegende Zustimmung“ ein Umfragewert

Unter der Überschrift „Jeder vierte Deutsche hat rassistische Ansichten“ berichtet eine Regionalzeitung über Erkenntnisse aus einer Uni-Umfrage. Dabei werden zwei Antwortmöglichkeiten – „voll und ganz“ und „überwiegende Zustimmung“ – zu einem Wert zusammengezogen. Die Zeitung berichtet, der Untersuchung zufolge glaubten 43,8 Prozent der Ost- und 35,2 Prozent der Westdeutschen, Ausländer kämen nur nach Deutschland, um den Sozialstaat auszunutzen. Eine Woche später stellt die Zeitung einem Landrat in ihrem Verbreitungsgebiet drei Fragen, wobei es in der dritten darum geht, wie hoch zurzeit der Aufwand des Landkreises für geduldete Ausländer sei. Ein Leser des Blattes kritisiert das Zusammenziehen von zwei Antwortmöglichkeiten zu einem Prozentwert. Die Darstellung verletze die Sorgfaltspflicht, weil der Leser nicht über die einzelnen Prozentzahlen zu den zwei Antwortmöglichkeiten informiert werde. Zum zweiten Beitrag teilt der Beschwerdeführer, der den Deutschen Presserat einschaltet, mit, der Landrat habe die Frage nach dem derzeitigen Aufwand für geduldete Ausländer nicht beantwortet. Er – der Leser – habe die Summe bei der Kreisverwaltung erfragt, sie der Zeitung mitgeteilt und um ergänzende Berichterstattung gebeten. Darauf hat die Redaktion nicht reagiert, so dass nach seiner Ansicht auch hier die Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Die Chefredakteurin teilt mit, ihre Zeitung habe eine Agentur-Meldung zum Thema Rechtsextremismus in Deutschland veröffentlicht, die so oder ähnlich in vielen Print- und elektronischen Medien erschienen sei. Selbst die Verfasser der Studie hätten keinen Unterschied zwischen „stimme überwiegend zu“ und „stimme voll und ganz zu“ gemacht. Beide Aussagen als Zustimmung zu der These eines Teiles der Bevölkerung zu werten, Ausländer kämen nur nach Deutschland, um den Sozialstaat auszunützen, seien völlig legitim. Die zweite Veröffentlichung sei ein kurzes Wortlautinterview zu den Auswirkungen des neuen Bleiberechts auf den Landkreis gewesen. Es sei unüblich, einem Interviewpartner Zahlen oder Fakten in den Mund zu legen, die er nicht genannt habe. (2006)