Foto eines entführten Mädchens
Zustimmung der Eltern entbindet nicht von der Verantwortung
In zwei Beiträgen berichtet eine Regionalzeitung über das 40 Stunden dauernde Martyrium und die unblutige Befreiung eines entführten 13-jährigen Mädchens. „Kidnapper zum Aufgeben überredet“ und „Das Kind wird wohl noch lange leiden“ lauten die beiden Überschriften. Und in einer Unterzeile sowie im Text wird erwähnt, dass der Täter sein Opfer zuvor sexuell missbraucht habe. Dem Beitrag ist u.a. ein Foto des Mädchens beigestellt. Zudem werden der volle Name der Betroffenen und ihr Heimatort genannt. Eine Leserin des Blattes sieht die Persönlichkeitsrechte des Kindes mit Füßen getreten und erhebt Beschwerde beim Deutschen Presserat. Sie findet, dass die Zeitung die Grenze des Nochzumutbaren an Sensationslust weit überschritten habe. Die Chefredaktion der Zeitung gesteht ein, dass es auch nach ihrer Meinung nicht in Ordnung war, Name und Foto des Opfers zu veröffentlichen. Ohne sich aus der Verantwortung stehlen zu wollen, weise sie jedoch darauf hin, dass eine Nachrichtenagentur nach Beendigung der Geiselnahme das Foto gesendet und in dem Begleittext geschrieben habe, mit diesem Foto suche die Polizei nach dem entführten chinesischstämmigen Mädchen. Offenbar habe dieser Hinweis auf das Fahndungsfoto bei dem zuständigen Redakteur die irrige Auffassung begründet, dass mit dem Hinweis auf die amtliche Quelle auch eine Veröffentlichung gestattet sei. Nach Ende der Geiselnahme sei dies unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes aber nicht mehr gerechtfertigt gewesen. In einer korrigierenden Stellungnahme teilt die Chefredaktion eine Woche später mit, einer Mail der Agentur sei zu entnehmen, dass diese das Foto erst zu einem Zeitpunkt gesendet habe, nachdem die Eltern des Mädchens mit ihrer befreiten Tochter vor die Presse gegangen seien und damit ganz bewusst auch Foto- und Filmaufnahmen zugelassen hätten. Damit sei das Einverständnis für die Verwendung eines Fotos des Opfers gegeben gewesen. In einer dritten Stellungnahme erklärt die Chefredaktion schließlich, dass das Foto bei der Rückkehr der Familie in ihre Heimatstadt entstanden sei. Das Kind sei dort von seinen Mitschülern begrüßt worden. Die Eltern hätten vor ihrem Haus die Aufnahmen der Fotografen und Kameraleute zugelassen und sich auch für Interviews zur Verfügung gestellt. Die beteiligten Medienagenturen hätten dies als eindeutige Einverständniserklärung zur Verbreitung der Bilder gewertet. Ähnlich äußert sich die Agentur selbst. Das Foto sei erst gesendet worden, als klar gewesen sei, dass die Eltern zusammen mit dem Mädchen in ihrer Heimatstadt vor die Presse gehen würden. Die Heimkehr des Mädchens sei mit Wissen der Eltern von zahlreichen TV-Kameraleuten und Fotografen begleitet worden. Deshalb könne der Vorwurf der Missachtung des Opferschutzes nicht mehr greifen. (2004)