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Gerichtsberichterstattung

Tatbestand einer Vergewaltigung wird detailreich erläutert

In zwei Beiträgen schildert eine Lokalzeitung den Verlauf zweier Strafverfahren. In beiden Fällen geht es um sexuelle Gewalt. Unter der Überschrift „Vier Jahre für Sex-Attacke“ wird berichtet, dass ein 30-jähriger Roma eine 34-jährige Frau nachts auf einem Friedhof vergewaltigt hat und jetzt für vier Jahre ins Gefängnis muss. Die Zeitung lässt Einzelheiten nicht aus. So schreibt sie, der nächtliche Vorfall auf dem Friedhof, bei dem der Angeklagte mehrere Finger in die Scheide seines hilflosen und völlig verängstigten Opfers gezwängt habe, sei extrem erniedrigend gewesen. In einem Beitrag auf der selben Seite unter der Überschrift „Sexuelle Gewalt gegen Au Pair?“ ist zu lesen, dass ein 71-jähriger Mann vor Gericht steht, weil er ein Au-Pair-Mädchen missbraucht haben soll. Auch in diesem Fall wartet die Zeitung mit Details auf. Sie zitiert aus der Anklageschrift, dass der Mann das Mädchen an die Wand gedrückt und ihm gewaltsam den Slip ausgezogen habe. Dann habe der Mann, so der Vorwurf im Einzelnen, seinen Finger in die Scheide des Mädchens eingeführt und sich dabei selbst befriedigt. Ein Leser und eine Leserin legen gemeinsam Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. In beiden Berichten würden intime Details der Missbräuche geschildert. Dies verletze die Würde der Opfer in eklatanter Weise, zumal der Berichterstattung zu entnehmen sei, dass die Frau des ersten Falles sowieso schon traumatisiert sei. Die Öffentlichkeit sei bei Prozessbeginn ausgeschlossen gewesen, vermutlich um zu verhindern, dass solche entwürdigenden Details an die Öffentlichkeit gelangen. Bei der Wahl seiner Worte habe der Reporter in seiner Sensationsgier anscheinend völlig übersehen, dass die Zeitung auch von Kindern gelesen werde. Der Autor der beiden Artikel versichert, dass er die Details der sexuellen Handlungen nicht leichtfertig beschrieben habe. Sie seien in der öffentlichen Verhandlung noch wesentlich ausführlicher erörtert worden. Allein die Opfer hätten unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt. Mit der Nennung der Details habe er dem Leser begreifbar machen wollen, dass das, was landläufig als Vergewaltigung angesehen werde, nicht dasselbe sei, was das Strafgesetzbuch darunter verstehe. Anders als früher werde nicht mehr allein das Eindringen des Penis in die Scheide als Vergewaltigung gewertet, sondern jedes Eindringen eines Körperteils oder eines Gegenstandes gegen den Willen des oder der Betroffenen. Dies sei nicht jedem Leser klar. Besonders in dem Fall des bereits verurteilten 30-jährigen Täters sei genau dieser Sachverhalt ausschlaggebend für das Urteil und die Urteilsbegründung gewesen. Im Übrigen habe er, der Autor, auch von „frauenbewegter Seite“ für die Art der Berichterstattung klare Zustimmung bekommen. Letztlich diene die explizite Darstellung auch der Abschreckung. Ergänzend dazu erklärt die Chefredakteurin der Zeitung, der Artikel habe mit Sensationsgier nicht das Geringste zu tun, die Art der Darstellung sei auf Grund der Gesetzeslage vollauf gerechtfertigt (2004)