Entscheidungen finden

Wie hat der Presserat entschieden?

Rüge, Missbilligung oder Hinweis, wie hat der Presserat entschieden? Hier können Sie online in der Spruchpraxis des Presserats eine Auswahl an Beschwerdefällen von 1985 bis heute recherchieren.

Bitte beachten: Im Volltext abrufbar sind nur Entscheidungen mit den Aktenzeichen ab 2024, z.B. 0123/24/3!

Nach detaillierten Richtlinien (z.B. 8.1) können Sie erst ab den Fällen aus 2024 recherchieren. Ältere Fälle werden nur unter der entsprechenden Ziffer (z.B. 8) angezeigt.

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Entscheidungsjahr
6642 Entscheidungen

Gewaltbereiter Mob formiert sich im Netz

Eine Online-Zeitung veröffentlicht einen Beitrag unter der Überschrift „200 Deutsche riefen Flüchtlingen zu: ´Willkommen!´ Jetzt zeigen wir die andere Seite: Hier sprechen die Hassfratzen.“ Nachdem die Zeitung 200 Stellungnahmen – Grundtenor: „Willkommen, liebe Flüchtlinge. Gut, dass Ihr hier seid“ – veröffentlicht hat, sieht sich die Redaktion mit zahlreichen negativen Einträgen auf ihrer Facebook-Seite konfrontiert. Die Anfeindungen hätten nicht nur die Kommentarspalten der Zeitung gefüllt. Kurz darauf hätten sich auch Hassmails in den privaten Posteingängen der Statementgeber gefunden, berichtet die Zeitung weiter. Nach Ansicht der Redaktion hat sich ein zuweilen gewaltbereiter Mob im Netz formiert. Dieser habe mit den Werten des Grundgesetzes gebrochen. Die Zeitung schreibt: „Diese Entwicklung war nur möglich, weil wir alle viel zu lange rumgemerkelt haben. Immer wenn es hieß, dass man rechtem Gedankenmüll keine Bühne geben darf, haben wir so getan, als ob die Parolen und all der Hass nicht existierten. Wir müssen uns mit der kranken Gedankenwelt der Menschen auseinandersetzen. Aber es reicht nicht, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wir zeigen ihre Gesichter, so, wie sie sich in sozialen Netzwerken und damit auch auf der Facebook-Seite (der Zeitung) präsentieren. Und ihre Namen. Denn wer auf der Seite eines Mediums solche Meinungen vertritt, sollte auch zu ihnen stehen. Sie rufen nach Meinungsfreiheit – wir nehmen sie beim Wort.“ Die Redaktion hat die nach ihrer Meinung schlimmsten Kommentare der vergangenen Monate zusammengestellt. Sie veröffentlicht 108 Kommentare von Lesern, die mit Klarnamen genannt werden. Einige Zitate: „die sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst, drecksgesindel“, „Flüchtlinge haben nichts zu sagen. Die haben sich einzufügen und erst einmal die Klappe zu halten“, „Nicht nur das, die wollen auch alle ein eigenes Schloss mit Personal, und endlos Kohle.“ (Schreibweise und Interpunktion im Original). Der Beitrag zieht 22 Beschwerden nach sich. Hauptkritikpunkt ist aus Sicht der Leserinnen und Leser ein Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex (Persönlichkeitsrechte), da die Redaktion Leserkommentare von Lesern mit Fotos und Klarnamen veröffentlicht habe, ohne deren Einwilligung dazu einzuholen. Diese Bürger würden pauschal als „Hassfratzen“ bezeichnet und an den Pranger gestellt. Aus Sicht der Beschwerdeführer habe die Redaktion nicht das Recht dazu, auch wenn die Äußerungen absolut untragbar seien. Der Chefredakteur der Zeitung teilt mit, rassistische, ausländerfeindliche und hetzerische Statements in den sozialen Netzwerken seien zu einer Alltagserscheinung geworden. Nach langer interner Diskussion habe sich die Redaktion dazu entschieden, so zu verfahren. Dabei sei nur das veröffentlicht worden, was die Kommentatoren selbst weltweit und unbeschränkt abrufbar gemacht hätten. Mit ihren Statements hätten die Kommentatoren versucht, die Meinung anderer Leser zu beeinflussen. Sie hätten versucht, Reaktionen zu erzeugen. Eine solche Reaktion hätten sie auch von der Redaktion bekommen. Diese habe ein klares Signal ausgesendet: Wir akzeptieren eure Hetze nicht!

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Über mutmaßlichen Täter identifizierbar berichtet

Der Leibwächter von Verona Poth soll seine Frau erwürgt haben. Die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung berichtet über den Fall unter der Überschrift „Veronas Leibwächter tötete seine Frau im Bad“. Der Mann habe Bekannten berichtet, dass seine Frau hilflos in der Wohnung liege. Diese hätten die Tochter des Paares alarmiert, die die Mutter tot aufgefunden und sofort die Polizei gerufen habe. Die Zeitung berichtet, der mutmaßliche Täter habe sich in der Nähe des Tatorts aufgehalten. In einer Mülltonne vor dem Haus sei eine Tüte mit „tatrelevanten Gegenständen“ gefunden worden. Nachbarn wollen den Leibwächter gesehen haben, als er die Tüte in die Mülltonne entsorgt habe. Der Mann sei von Verona Pooth regelmäßig als Fahrer und Bodyguard gebucht worden. In ersten Befragungen habe er die Tat zugegeben. Laut Obduktion habe er seine Frau gewürgt, ihr jedoch auch Schnittverletzungen zugefügt. Der Staatsanwalt wird von der Zeitung mit den Worten zitiert: „Wir gehen davon aus, dass das Opfer bei dem Angriff wehrlos war. Wir ermitteln deshalb wegen heimtückischen Mordes.“ Der mutmaßliche Täter und das Opfer werden in dem Artikel mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen und dem Alter genannt. Zudem erwähnt der Autor, dass sich die gemeinsame Wohnung in einem Neubaugebiet einer rheinischen Großstadt befinde. Vier Fotos sind dem Beitrag beigestellt. Eines davon zeigt Verona Pooth mit dem Leibwächter. Ein weiteres zeigt ihn gemeinsam mit einem Beamten im Polizeiauto. Auf einem dritten Bild ist der Mann mit seiner Frau zu sehen, deren Augenpartie gepixelt ist. Ein viertes Foto zeigt ihn, wie er von Polizeibeamten abgeführt wird. Ein Leser der Zeitung kritisiert, dass über den mutmaßlichen Täter bereits vor einer Verurteilung identifizierend berichtet werde. Eine derartige Berichterstattung bediene bloße Sensationsinteressen. Dass der Tatverdächtige zeitweise in den Diensten von Verona Pooth gestanden habe, mache ihn noch nicht zu einer Person des öffentlichen Lebens. Die Rechtsabteilung der Zeitung merkt an, der Tatverdächtige habe bereits zum Zeitpunkt der Berichterstattung zugegeben, seine Frau getötet zu haben. Darauf hätten die Ermittlungsbehörden einen Haftbefehl wegen Mordes erwirkt. Die Zeitung habe über den Fall rein nachrichtlich berichtet. Es entspreche journalistischen Gepflogenheiten, den Täter mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen und Alter zu nennen. Die Arbeit des Mannes als gelegentlicher Fahrer und Bodyguard von Verona Pooth rechtfertige die Veröffentlichung der Fotos. Das Gesicht des Betroffenen sei aufgrund seiner Tätigkeit in der Öffentlichkeit ohnehin schon bekannt gewesen.

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Tötung von zwei Menschen im Video gezeigt

„So trauert ihr Verlobter um die ermordete Reporterin“ titelt die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung. Im Beitrag geht es um ein Tötungsdelikt im US-Bundesstaat Virginia und dessen Folgen für die Hinterbliebenen. Ein ehemaliger Mitarbeiter eines Fernsehsenders hatte eine Reporterin des Senders und einen Kameramann erschossen, die Tat auf Video aufgezeichnet und dieses dann ins Netz gestellt. Die panischen Schreie der Sterbenden sind zu hören. Der Artikel enthält zudem fünf Fotos. Davon zeigt eines die Reporterin und ihren Verlobten, ein weiteres den Täter und ein drittes die Reporterin zusammen mit dem Kameramann. Alle Beteiligten sind in dem Artikel namentlich genannt. Eine Leserin der Zeitung hält die Berichterstattung für einen Verstoß gegen presseethische Grundsätze. Ein Video von der Tötung der Journalistin und ihres Kameramannes online zu stellen, sei nicht akzeptabel und respektlos gegenüber den Toten. Die Rechtsvertretung des Verlages berichtet, die Redaktion habe sich die Entscheidung zu dieser Art der Berichterstattung nicht leicht gemacht. Sie sei aber zu dem Schluss gekommen, dass das große öffentliche Interesse an dieser Tat die umfassende Berichterstattung rechtfertigt, ja sogar dazu verpflichtet. Den Ausschlag für die Wiedergabe des Videos habe die Tatsache gegeben, dass dieses im amerikanischen Fernsehen gezeigt worden sei. Ein Verstoß gegen Ziffer 1 des Pressekodex (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde) sei nicht erkennbar, weil der Moment der Tötung von Reporterin und Kameramann im Video nicht zu sehen sei. Eine Herabwürdigung zu bloßen Objekten der beiden Opfer finde nicht statt.

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Redaktion dokumentiert die Realität

Eine Boulevardzeitung berichtet online und tags darauf in der gedruckten Ausgabe unter der Überschrift „Das Foto der Schande“ über den Erstickungstod von 71 Flüchtlingen in einem Lastwagen auf einer österreichischen Autobahn. Die Menschen seien von Schleppern im luftdichten Laderaum eines Lastwagens zusammengepfercht worden, wo sie qualvoll erstickt seien. Im Beitrag steht die Passage: „Dieses Foto der Schande dokumentiert alles, was die Flüchtlingskatastrophe 2015 so unerträglich macht. Das Grauen der Flucht. Das Elend der Flüchtlinge. Die Brutalität der Schlepper. Aber auch das komplette Versagen der Politik, die dem Flüchtlingsdrama viel zu lange tatenlos zugesehen hat.“ 18 Beschwerdeführer kritisieren gleich mehrere Verstöße gegen presseethische Grundsätze. Sie führen die Ziffern 1, 8, 9 und 11 des Pressekodex an. Einige Leser sind der Ansicht, dass die Abbildung der erstickten Menschen gegen die Würde der Toten verstoße. Es handele sich hier um eine unangemessen sensationelle Berichterstattung. Das vermeintliche Anliegen des Artikels – Hilfe für Flüchtlinge – wirke angesichts der reißerischen Darstellung wie ein redaktionelles Feigenblatt. Der Verweis auf das Ziel, aufrütteln zu wollen, sei möglicherweise vorgetäuscht, da es der Zeitung wohl in erster Linie um Klickzahlen im Online-Angebot gehe. Einige der Beschwerdeführer sehen auch die Persönlichkeitsrechte der Opfer verletzt. Etwaige Angehörige oder Hinterbliebene seien vor der Veröffentlichung des Fotos wohl nicht um ihre Zustimmung gebeten worden. Einige der Leser argumentieren, dass die Darstellung der Toten auf der Titelseite sehr verstörend auf Kinder und Jugendliche wirken könne. Viele Menschen seien mit dem Bild konfrontiert worden, ob sie das gewollt hätten oder nicht. Es wird vermutet, dass das Bild von der Polizei zunächst an eine österreichische Zeitung weitergegeben worden sei. Die Staatsanwaltschaft untersuche den Fall. Dieser Umstand lasse die Rechtmäßigkeit umso zweifelhafter erscheinen. Die Rechtsvertretung der Zeitung lässt die Beschwerden von einem jungen Wirtschaftswissenschaftler aus Aleppo (Syrien) beantworten. Die Redaktion habe diesen und seine Freunde bei ihrer Flucht über das Mittelmeer und über den Balkan begleitet. Feras, wie die Redaktion den Syrer nennt, vertritt die Ansicht, es sei wichtig, das Bild der toten Menschen in dem Lastwagen zu zeigen. So hätten die Menschen sehen können, wie Flüchtlinge leiden müssen, um in ein sicheres Land zu gelangen. Die Schlepper spielten mit dem Leben dieser Menschen. Die Überfahrt zwischen der Türkei und Griechenland sei lebensgefährlich und danach bestehe die Gefahr, auf der Flucht nach Ungarn bzw. von Ungarn nach Deutschland ausgeraubt oder getötet zu werden. Dies sei in diesem Fall ebenfalls passiert. Feras´ Appell: Die europäischen Länder sollten etwas tun, um eine sichere Reise von Flüchtlingen zu ermöglichen.

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Furchtbares Bild darf gezeigt werden

Eine Großstadtzeitung berichtet in der Printausgabe unter der Überschrift „Das grausame Foto der qualvoll erstickten Flüchtlinge im Laster“ auf der Titelseite über ein Flüchtlingsdrama in Österreich. Dabei waren 71 Menschen qualvoll im luftdichten Laderaum eines Lastwagens erstickt. Ein Foto zeigt den Lkw mit geöffneter Laderaum-Tür. Mehrere Leichen sind zu sehen. In der Online-Ausgabe veröffentlicht die Redaktion am gleichen Tag einen Beitrag, in dem sie erläutert, warum sie das Foto abgedruckt hat. Es sei nicht pure Lust an der Sensation gewesen. Vielmehr dokumentiere das Foto eine Wirklichkeit, der viele Deutsche nur mit Zynismus, Dummheit und Lügen begegneten. Bebildert ist der vom Chefredakteur geschriebene Beitrag mit einem Ausriss des Fotos mit den toten Flüchtlingen, das die Printausgabe auf ihrer Titelseite veröffentlicht hatte. Zahlreiche Beschwerdeführer kritisieren die Veröffentlichung des unverpixelten Fotos. Unangemessen sensationell würden Gewalt, Brutalität und Leid dargestellt. Eindeutig werde die Grenze des Informationsinteresses der Öffentlichkeit überschritten. Durch die Platzierung des Fotos auf der Titelseite missachte die Zeitung die mögliche Wirkung auf Kinder und Jugendliche. Ein überwiegendes öffentliches Interesse am Abdruck liege nicht vor. Es überwiege ein gefühlter Tabubruch und Verstoß gegen den Pressekodex mit dem Ziel, Auflage zu machen. Die abgebildeten Menschen bzw. ihre Angehörigen hätten keine Chance, den ihnen zustehenden Opferschutz nach Richtlinie 8.2 in Anspruch zu nehmen. Der Opferschutz sei von der Redaktion in eklatanter Weise verletzt worden. Die Rechtsabteilung der Zeitung lässt Feras, einen jungen syrischen Wirtschaftswissenschaftler, auf die Beschwerden antworten. Die Redaktion habe Feras und seine Freunde auf ihrer Flucht begleitet. Feras nimmt in englischer Sprache Stellung. Er hält die Veröffentlichung für sehr wichtig. So könnten die Menschen in Deutschland sehen, wie sehr viele Flüchtlinge leiden müssen, wenn sie in ein sicheres Land gelangen wollten. Die Schlepper würden mit dem Leben der Menschen spielen. Erst sei die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland lebensgefährlich und anschließend bestehe die Gefahr, auf dem weiteren Weg nach Mitteleuropa ausgeraubt oder gar getötet zu werden. Das sei in diesem Fall passiert.

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Ein Foto, das Emotionen auslöst

Die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung veröffentlicht unter der Überschrift „Wir trauern“ das Foto des toten syrischen Flüchtlingsjungen, dessen Leichnam an einem Strand im türkischen Bodrum angeschwemmt worden war. In der Bildunterschrift zu dem Foto, das wie eine Traueranzeige in einen schwarzen Rahmen eingebettet ist, heißt es: „Bilder wie dieses sind schändlich alltäglich geworden. Wir ertragen sie nicht mehr, aber wir wollen, wir müssen sie zeigen, denn sie dokumentieren das historische Versagen unserer Zivilisation in dieser Flüchtlingskrise (…). Dieses Foto ist eine Botschaft an die ganze Welt, endlich vereint dafür zu sorgen, dass kein einziges Kind mehr auf der Flucht stirbt. Denn wer sind wir, was sind unsere Werte wirklich wert, wenn wir so etwas weiter geschehen lassen?“ In der Printausgabe erscheint das Foto tags darauf in gleicher Aufmachung. Die Bildunterschrift ist identisch. Beide Fotos zeigen das Kind seitlich von hinten. Dreizehn Leser der Zeitung wenden sich mit einer Beschwerde an den Presserat. Sie sehen die Würde des Kindes durch den Abdruck dieses Fotos verletzt. Auch die Rechte der Angehörigen würden verletzt. Die Zeitung präsentiere sich besorgt, doch spiele sie mit den Gefühlen der Menschen. Andere Leser sehen weitere presseethische Grundsätze verletzt. Es sei unangemessen und pietätlos, ein Foto des toten Kindes ohne Verpixelung und ohne Einwilligung der Eltern zu zeigen. Das Kind sei auf dem Bild sehr gut zu erkennen. Bei der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Darstellung des toten Jungen müsse das Informationsinteresse zurücktreten. Nach Richtlinie 11.3 müsse das Leid von Opfern, insbesondere von Kindern, respektiert werden und dürfe nicht dargestellt werden. Andere Beschwerdeführer argumentieren, dass Zeitungen auch Schreckliches dokumentieren könnten, ohne die Würde eines toten Menschen zu verletzen. Das Thema Flüchtlinge müsse dokumentiert werden, aber nicht auf diese Weise. Die Rechtsabteilung der Zeitung gibt keine detaillierte Stellungnahme ab. Aus ihrer Sicht spreche die Berichterstattung für sich.

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Erschreckendes Dokument der Zeitgeschichte

Der vierjährige Aylan aus Syrien stirbt auf der Flucht. Sein kleiner Körper wird an der türkischen Küste bei Bodrum an den Strand gespült. Ein Fotograf macht das Foto, das um die Welt geht. Kaum ein Medium weltweit, dass sich nicht mit dem tragischen Geschehen befasst hätte, so auch die Online-Ausgabe eines Nachrichtenmagazins. Dessen Chefredakteur kommentiert. Der Beitrag enthält das Foto. Die entsprechende Textpassage lautet: „Der Junge ist tot. Die Welt dreht sich weiter. Nicht bei uns. Jedenfalls nicht heute. Der Junge am Strand wird den ganzen Tag bei uns zu sehen sein. Ganz oben. 24 Stunden. Passiere, was wolle. Denn sein Recht auf ein Leben wurde ihm genommen. Dann hat er zumindest das Recht, noch einmal gesehen zu werden.“ Zwei Leser der Zeitschrift sehen mit der Berichterstattung und dem Kommentar presseethische Grundsätze verletzt. Durch die pietätlose Zurschaustellung werde die Ehre des toten Kindes verletzt. Es handele sich um Sensationsjournalismus um vieler Klicks willen, auch wenn der Text etwas Anderes suggeriere. Das Foto eines toten Kindes hätte nicht veröffentlicht werden dürfen. Die Rechtsabteilung der Zeitschrift stellt aus ihrer Sicht fest, dass dies kein Fall einer unangemessen sensationellen Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid sei. Das Foto dokumentiere ein grausames Geschehen, den Tod eines Kindes. Dies geschehe nicht auf sensationslüsterne oder voyeuristische Weise. Auch werde das Opfer nicht herabgewürdigt. Der Betrachter begegne ihm vielmehr mit Mitgefühl und Entsetzen angesichts des Schicksals, das im nahöstlichen Flüchtlingsdrama so vielen Menschen widerfahren sei. Das Foto des kleinen Aylan belege auf tragische Weise das absolute Versagen der Politik. Es sei somit ein erschreckendes Dokument der Zeitgeschichte. Die Wirklichkeit, die dieses Bild wiedergebe, möge schwer zu ertragen sein. Dennoch bewege sich die Berichterstattung im Rahmen der Grenzen des Pressekodex.

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Strittiger Bericht über ein Seniorenheim

Die Online-Ausgabe einer Regionalzeitung berichtet über die Schließung und Auslagerung der Wäscherei eines Caritas-Seniorenheims. Sie schildert den Verlauf eines Informationsabends für Angehörige der Bewohner. Die Kritik der Angehörigen an der Schließung erhält in der Berichterstattung breiten Raum. Ein Leser der Zeitung weist darauf hin, dass der Autor des Artikels selbst Angehöriger einer Heimbewohnerin ist und mit der Veröffentlichung ein persönliches Interesse verfolge. Dabei gehe es um ökonomische Interessen. Der Autor selbst habe den Widerstand und den Protest gegen die Schließung selbst inszeniert. Die Zeitung hätte ihn wegen Befangenheit nicht mit der Berichterstattung beauftragen dürfen. Die Rechtsvertretung der Zeitung räumt ein, dass der Autor zwar aus privaten Gründen als Angehöriger einer Heimbewohnerin von der Versammlung erfahren habe. Seine Beschreibung der Versammlung und deren Hintergründe genügten jedoch allen journalistischen Anforderungen. Der Autor gibt eine eigene Stellungnahme ab. Er betont, dass er wahrheitsgemäß über die Versammlung berichtet und nichts „inszeniert“ habe. Kritik am Vorgehen der Caritas sei von mehreren Besuchern unabhängig und teils harsch geäußert worden. Völlig ins Leere gehe der Vorwurf, er habe mit dem Artikel „persönliche wirtschaftliche Interessen“ verfolgt. Seine Mutter befinde sich zwar in dem Heim, doch sie sei voll geschäftsfähig und trage die anfallenden Pflegekosten zu hundert Prozent aus eigenen Mitteln. Er sei weder als ihr Betreuer bestellt, noch in irgendeiner Weise finanziell oder in anderer wirtschaftlicher Form involviert.

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„Das Sinnbild der Tragödie“

Die Online-Ausgabe einer Wirtschaftszeitung veröffentlicht unter der Überschrift „Das Sinnbild der Tragödie“ einen Beitrag über den vierjährigen Aylan aus Syrien. Dieser war bei der Flucht nach Europa ums Leben gekommen und an einem Strand bei Bodrum an der türkischen Küste angeschwemmt worden. Ein Fotograf hatte ein Foto gemacht, das um die Welt ging. Auch diese Zeitung zeigt das Bild. Der Junge ist seitlich von hinten zu sehen. Das Gesicht ist nicht erkennbar. Ein Leser der Zeitung kritisiert die Veröffentlichung des Fotos. Es diene nur dazu, Auflage zu machen und rücke nicht das Kernproblem, die Flüchtlingskatastrophe, in den Vordergrund. Der Beschwerdeführer empfindet das Foto als anstößig. Die Rechtsabteilung der Zeitung hält dagegen, das kritisierte Foto symbolisiere die dramatischen Schicksale, die viele Flüchtlinge aus Syrien und anderen Krisengebieten erlitten, wenn sie sich auf den Weg nach Europa machten. Es sei wichtig zu sehen, dass hinter den politischen Diskussionen Menschen stünden, die dringend Hilfe bräuchten. Die große Not der Flüchtlinge sei für viele Menschen in Europa nicht greifbar. Es sei hilfreich, wenn nicht gar erforderlich, durch die Veröffentlichung derartiger Dokumente das Bewusstsein für die Belange der Hilfesuchenden wachzuhalten. Der Tod des jungen Aylan in Verbindung mit dem Foto sei das Sinnbild der Tragödie und führe der Öffentlichkeit das Schicksal zahlreicher Flüchtlinge besonders vor Augen. Der Junge werde nicht herabgewürdigt. Das Bild zeige ihn seitlich von hinten; das Gesicht sei nicht zu sehen. Angesichts der Flüchtlingsdebatte, in deren Folge sich in Deutschland immer mehr radikale Lager bildeten, sei es notwendig, die Gesellschaft auf die Schicksale „dahinter“ aufmerksam zu machen. Das kritisierte Foto sei dafür ein Sinnbild.

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Ein Foto, das die Welt erschütterte

„Ein Foto erschüttert die Welt“ – so überschreibt die Online-Ausgabe einer überregionalen Tageszeitung ihren Bericht über den tragischen Tod des vierjährigen Aylan aus Syrien, der auf der Flucht nach Europa ertrunken ist und an einem Strand nahe dem türkischen Bodrum angeschwemmt wurde. Eine der dem Bericht beigestellten Abbildungen zeigt, wie Polizisten den leblosen Körper wegtragen. Das zweite Foto geht an diesem Tag um die Welt. Es zeigt den toten Aylan am Strand liegend. Ein Leser der Zeitung kritisiert die Veröffentlichung dieses Fotos. Hier stehe die Sensation im Vordergrund, nicht aber das eigentliche Flüchtlingsproblem. Der Beschwerdeführer sieht in der Veröffentlichung einen Fall von Sensationsberichterstattung. Nach Ansicht der Rechtsabteilung der Zeitung liegt hier keine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid (Ziffer 11 des Pressekodex) vor. Über den Jungen werde in einer respektvollen Weise berichtet, die allein dem öffentlichen Interesse und dem Informationsinteresse der Leser diene. Dieses Interesse sei bei dem dominierenden Thema der europaweiten Bewältigung des Umgangs mit Millionen Schutzsuchenden und Bürgerkriegsflüchtlingen von besonderer Bedeutung. Über das im Pressekodex definierte öffentliche Informationsinteresse gehe diese Berichterstattung nicht hinaus. Die Darstellung beschränke sich auf die Wiedergabe des konkreten tragischen Ereignisses. Es sei von besonderem öffentlichem Interesse. Dabei werde die Würde des Opfers nicht herabgesetzt. Das Foto sei ein Sinnbild für die tödlichen Gefahren der Flucht. Es stehe auch für das Scheitern einer geordneten Zuwanderung von Schutzsuchenden. Diesem Scheitern fielen am Ende auch Kinder zum Opfer.

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