Brutale Szenen auf Handy-Video
Der Deutsche Presserat tagte am 26. und 27.5.2010 in Berlin und sprach insgesamt acht Rügen aus. Die Goslarsche Zeitung Online erhielt eine öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen die Ziffer 11 des Pressekodex. Die Zeitung hatte auf ihrer Internetseite über einen Fall von gefährlicher Körperverletzung berichtet und den Beitrag mit einem Video verlinkt. Darin war zu sehen, wie ein Jugendlicher einen anderen brutal zusammenschlägt. Die Szene war von einem Dritten gefilmt und das Video der Redaktion zugespielt worden. Der Ausschuss bewertete die Veröffentlichung des brutalen Videos als unangemessen sensationell. Sie sei dazu geeignet, Nachahmungstäter zu animieren. Solche Aufnahmen würden von jugendlichen Gewalttätern zudem als Trophäen verwendet, die Zeitung verstärke durch die Art der Berichterstattung diese Wirkung.
Ziffer 11 lautet:
Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.
Der Vogtland-Anzeiger erhielt eine öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 2 und 9 des Pressekodex. In einem Kommentar hatte die Zeitung über die angeblich unlauteren Motive einer Kritikerin in einem lokalpolitischen Streit spekuliert. Der Kommentator unterstellte der Frau, sie übe die Kritik lediglich aus eigenem Interesse an der Stelle des Kritisierten aus. Dafür gab es jedoch keine Anhaltspunkte. Die Unterstellungen, die nicht mit einer Gegenrecherche belegt werden konnten, waren dazu geeignet, die Frau in ihrer Ehre zu verletzen. Die journalistische Sorgfalt nach Ziffer 2 hätte es zudem verlangt, dass die Betroffene die Möglichkeit erhält, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Ziffer 2 lautet:
Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.[…]
Die Rheinische Post wurde für die Veröffentlichung des Artikels unter dem Titel ‚Ketchup hilft der Caritas' gerügt. Der Beitrag beschäftigte sich laut Überschrift und Unterzeile mit sozialen Projekten des Ketchup-Herstellers Heinz. Dadurch werden beim Leser Erwartungen erweckt, die der Text nicht erfüllte. Der Beitrag beschränkt sich auf die kurze und abstrakte Mitteilung, dass der Konzern eine Vertragsvereinbarung mit Caritas geschlossen habe. Details über den konkreten Umfang des Engagements erfährt man in dem vierspaltigen Beitrag jedoch nicht. In den Artikel integriert waren zusätzlich die überdimensionale Abbildung einer Ketchupflasche sowie ein zweites Produktfoto. Diese Gewichtung ist unverhältnismäßig. Damit ist der Tatbestand der Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 Pressekodex erfüllt.
7.2 – Schleichwerbung
Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse,
Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird. Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material.
Ebenfalls gegen den Grundsatz der klaren Trennung von Redaktion und Werbung verstieß die Sindelfinger Zeitung Online mit einem Artikel unter der Überschrift ‚Grundstoff für Biodiesel-Produktion'. Bei der Veröffentlichung handelte es sich um eine vollständige Übernahme eines PR-Textes der Daimler AG, was für den Leser aber nicht ersichtlich war. Im Gegenteil entstand durch eine dem Beitrag vorangestellte Autorenzeile der irreführende Eindruck, als handele es sich um einen von der Redaktion recherchierten und verfassten Artikel. Die in Richtlinie 7.2 geforderte besondere Sorgfalt im Umgang mit PR-Material wurde bei dieser Veröffentlichung grob missachtet.
Eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten monierte der Presserat gegenüber der Zeitschrift Die Aktuelle. Sie berichtete über den Comedy-Star Gaby Köster, die angeblich im Rollstuhl sitze und stützte diese falsche Behauptung auf ein Foto von ihrem Wohnhaus, vor dem eine Rollstuhlrampe zu sehen war. Wenig später vermeldete die Zeitung „ein Wunder“, denn Gaby Köster könne wieder laufen. Der Ausschuss sieht in der Berichterstattung eine Verletzung der Ziffern 1 und 8 des Pressekodex. Auch im Fall von Prominenten müsse über Krankheiten zurückhaltend berichtet werden.
Richtlinie 8.4 des Kodex lautet:
Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn und seine Angehörigen soll die Presse in solchen Fällen auf Namensnennungen und Bild verzichten und abwertende Bezeichnungen der Krankheit oder der Krankenanstalt, auch wenn sie im Volksmund anzutreffen sind, vermeiden. Auch Personen der Zeitgeschichte genießen über den Tod hinaus Schutz vor diskriminierenden Enthüllungen.
Umso schwerer wog aus Sicht der Mitglieder, dass die Zeitschrift die Leser in Bezug auf die Krankheit falsch informiert hatte. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung saß Gaby Köster nicht im Rollstuhl. Im Ausschuss ist der Eindruck entstanden, die Nachricht sei bewusst platziert worden, um kurz darauf die vermeintliche Genesung als Wunder darzustellen. Die Aktuelle erhielt eine öffentliche Rüge.
Wegen eines Verstoßes gegen Persönlichkeitsrechte wurde auch das Online-Portal www.derwesten.de öffentlich gerügt. Das Portal berichtete über die Vergewaltigung eines elfjährigen Mädchens in Solingen in der Wohnung seiner Eltern, nachdem das Kind dem Täter selbst die Tür geöffnet habe. Dem Artikel beigestellt war ein Stadtplan mit dem Titel „Ort des Geschehens". Auf dem Stadtplan war eine interaktive Sprechblase mit der Aufschrift „Position o.k.? ja/nein" platziert, anhand dessen sich der Leser an der genauen Bestimmung des Tatortes beteiligen konnte. Der Ausschuss sah darin eine eklatante Verletzung von Persönlichkeitsrechten.
Kritisiert wurden auch Bild (Frankfurt) und Bild am Sonntag für ihre Berichterstattung über einen Familienausflug in die Alpen, bei dem ein 13-jähriges Mädchen zu Tode kam. Der Beschwerdeausschuss moniert den Abdruck des Fotos des Opfers und die Veröffentlichung zahlreicher Details aus dem Privatleben des Mädchens. Auch seine Familie sei durch die Berichterstattung öffentlich gemacht worden. Aus Sicht des Ausschusses ist die identifizierende Berichterstattung nicht durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gedeckt, so dass er beiden Zeitungen jeweils eine nicht-öffentliche Rüge erteilte.
Insgesamt wurden in den zwei Beschwerdeausschüssen 271 Beschwerden behandelt. Davon waren 198 Beschwerden gegen die TITANIC, die als unbegründet zurückgewiesen wurde (siehe gesonderte Pressemitteilung vom heutigen Tag). Neben den sechs öffentlichen und zwei nicht-öffentlichen Rügen gab es 12 Missbilligungen und 19 Hinweise. In 218 Fällen wurden die Beschwerden als unbegründet erachtet (davon 198 gegen Titanic). In drei Fällen wurde die Beschwerde als begründet angesehen, auf eine Maßnahme wurde jedoch verzichtet. Zwei Fälle waren nicht aufklärbar.