Deutscher Presserat rügt Concorde-Berichterstattung
Der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats hat in seiner Sitzung am 19. September in Bonn die Berichterstattung des Stern über das Concorde-Unglück am 25. Juli in der Nähe von Paris gerügt. Gegenstand der Beschwerde war ein Foto vom Unglücksort, das in Ausgabe Nr. 32 der Hamburger Zeitschrift veröffentlicht worden war. Darauf sind zwei verkohlte Leichen zu erkennen. Zur Begründung ihrer Entscheidung legten die Mitglieder des Publizistischen Selbstkontrollorgans die Ziffer 11 des Pressekodex zugrunde. Ziffer 11 verpflichtet die Presse, „auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt und Brutalität" zu verzichten, und grenzt in Richtlinie 11.3 die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen deutlich ein:
„Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen der Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden."
Darüber hinaus wurde in fünf Fällen die Berichterstattung über das Concorde-Unglück durch überregionale Tageszeitungen, eine Sonntagszeitung sowie eine Zeitschrift missbilligt. Sie hatten in Bildern und Texten teils sehr ausführlich und mit persönlichen Details über die Opfer der Flugkatastrophe berichtet. In diesem Zusammenhang legten die Mitglieder des Publizistischen Selbstkontrollorgans neben Ziffer 1 (Wahrung der Menschenwürde) vor allem die Ziffer 8 des Pressekodex zugrunde: Darin wird die Presse verpflichtet, „das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen" zu achten. Einschränkend heißt es in Ziffer 8 weiter:
„Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden."
Die Richtlinie 8.1 erläutert den Schutz für die Opfer bei Unglücksfällen:
„(1) Die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern (...) in der Berichterstattung über Unglücksfälle (...) sind in der Regel nicht gerechtfertigt. Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen.
(2) Opfer von Unglücksfällen (...) haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Unfallgeschehens (...) ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen gerechtfertigt sein.
(3) Bei Familienangehörigen und sonstigen Betroffenen, die mit dem Unglücksfall oder der Straftat nichts zu tun haben, sind Namensnennung und Abbildung grundsätzlich unzulässig."
Zuvor hatte eine Anhörung stattgefunden, an der mehrere Beschwerdeführer mit ihren Anwälten und die Vertreter mehrerer Zeitungen, Zeitschriften und Agenturen teilgenommen hatten. Nach intensiven Beratungen über die insgesamt zwölf Beschwerden gegen die Concorde-Berichterstattung befand der Presserat, dass es beim Concorde-Unglück keine „besonderen Begleitumstände" gab, die eine uneingeschränkte und unterschiedslose Preisgabe von Namen, Bildnissen und weiteren Angaben zu Person und Lebensumständen der Opfer in der Berichterstattung rechtfertigen könnte. Im Concorde-Fall war die Presse nach Auffassung des Beschwerdeausschusses gehalten, in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob das öffentliche Interesse den Schutz der Privatsphäre überwog.
Allein die Tatsache, dass eine Person als gewöhnlicher Passagier Opfer eines Unglücks wird, begründet nach Auffassung des Presserats noch nicht ein öffentliches Interesse, das den Schutz der Privatsphäre auch nur teilweise aufheben könnte. Hinzu kommen müssten jeweils besondere Merkmale der Person. Das kann beispielsweise eine aktive Rolle im Unglücks-Geschehen oder eine Rolle im öffentlichen Leben sein. Der Schutz der Privat- und Intimsphäre kann durch ein begründetes öffentliches Interesse allerdings auch nur graduell aufgehoben werden. So bleiben etwa die Gesundheit oder die privaten Beziehungen und intime Konflikte eines Opfers grundsätzlich in der geschützten Sphäre.
Im Laufe der weiteren Beratungen sprach der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats außerdem eine Rüge gegen das Fachblatt European Trade News aus. Ihm wird vorgeworfen, gegen Ziffer 7 (Trennung von Redaktion und Werbung) zu verstoßen, weil es für die Veröffentlichung von Fotos im redaktionellen Teil offenbar Honorare verlangt, die in der Höhe mit Anzeigenpreisen zu vergleichen sind. Schließlich verhängte das Gremium zwölf Missbilligungen gegen verschiedene Zeitschriften und Tageszeitungen und sprach sechs Hinweise wegen eines Verstoßes gegen den Pressekodex aus.