Rügen für Verstöße gegen Sorgfaltspflicht und Opferschutz
Der Deutsche Presserat hat auf seinen Sitzungen vom 13. bis 15. Juni insgesamt sieben Rügen ausgesprochen.
Wahrsagung als Tatsache ausgegeben
Für einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex wurde ECHO DER FRAU gerügt. Das Magazin titelte: „KATE & WILLIAM – Baby Jubel! – JA! Es werden süße Zwillinge“. Im Text stellte sich jedoch heraus, dass sich die Schlagzeile lediglich auf die Wahrsagung einer „Hellseherin“ bezog. Damit erweckte die Redaktion den unbegründeten Eindruck, Prinz William und Herzogin Kate erwarteten tatsächlich Nachwuchs. Sie führte damit ihre Leserschaft massiv in die Irre.
Informationen von Lobby-Verband ungeprüft übernommen
Wegen eines schweren Verstoßes gegen die journalistische Sorgfalt nach Ziffer 2 des Pressekodex wurde die Online-Ausgabe von TOP AGRAR gerügt. Das Portal hatte unter der Überschrift „80 % der Verbraucher lehnen Ersatzprodukte für Fleisch und Milch ab“ über eine Umfrage berichtet. Die Behauptung aus der Überschrift war jedoch nicht vom Umfrageergebnis gedeckt. Die Redaktion berief sich darauf, die Studie selbst nicht zu kennen, sondern deren Inhalt ungeprüft aus einer Pressemitteilung eines Verbandes übernommen zu haben. Dies bewertete der Presserat als massiven Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, zumal es sich bei der Pressemitteilung um eine eindeutige PR-Aktion handelte. Hinzu kam, dass die von der Redaktion nachträglich geänderte Überschrift ebenfalls sachlich falsch war.
Suizid detailliert geschildert
TAGESSPIEGEL.DE erhielt eine Rüge für eine Berichterstattung über die Angeklagte in einem Mordprozess, die Suizid begangen hatte. Die Redaktion schilderte in dem Artikel detailliert den Suizidablauf und die Szenerie. Diese Beschreibung näherer Begleitumstände überschreitet die Grenze der Ziffer 8, Richtlinie 8.7 des Pressekodex, nach der Zurückhaltung bei der Berichterstattung – gerade mit Blick auf mögliche Nachahmung – geboten ist.
Opfer eines Dreifach-Mordes abgebildet
BILD.DE erhielt eine Rüge wegen einer Verletzung des Opferschutzes. Die Redaktion hatte unter der Überschrift „Es ist wie im Film abgelaufen“ über einen Prozess wegen eines Dreifach-Mordes in Norddeutschland berichtet und die drei Opfer identifizierbar abgebildet. Bei zwei Fotos konnte die Redaktion die Einwilligung der Angehörigen vorlegen, bei einem Foto jedoch nicht. Die identifizierbare Abbildung der getöteten Person stellt daher einen schweren Verstoß gegen Richtlinie 8.2 dar, nach der die Identität von Opfern besonders zu schützen ist.
Falsche Dosierung von Jod-Tabletten angegeben
Die SIEGENER ZEITUNG wurde für einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex gerügt. Die Redaktion hatte vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs über Anfragen zu Jodtabletten bei Apotheken berichtet. Unter der Überschrift „Die ‚Anti-Putin-Tablette‘ ist gefragt“ veröffentlichte sie eine falsche Dosierungsangabe sowie falsche Informationen über die Einnahme der Tabletten in einer Region in unmittelbarer Nähe zu einem Atomkraftwerk. Gerade mit Blick auf das Thema Gesundheit hätte die Redaktion hier sorgfältiger recherchieren müssen.
Experten Produkt-Empfehlung untergeschoben
Für einen schweren Verstoß gegen das Trennungsgebot von Werbung und Redaktion nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex wurde HÖRZU gerügt. Das Magazin hatte unter der Überschrift „So bleibt Ihr Herz gesund“ ein bestimmtes Präparat namentlich genannt, ohne dass ein Alleinstellungsmerkmal erkennbar war. Bei der Nennung des Produkts berief sich die Redaktion ausdrücklich auf einen Ernährungsratgeber von vier aus dem Fernsehen bekannten Ärzten. Nach Aussage des Verlags der Ärzte kam das erwähnte Präparat jedoch in dem Ratgeber nicht vor. Diese Irreführung der Leserschaft ist dazu geeignet, Glaubwürdigkeit und Ansehen der Presse nach Ziffer 1 des Pressekodex zu beschädigen.
Namentliche Nennung von Arzneimitteln
GONG wurde für verschiedene Artikel in der Rubrik „Hallo Doktor“ gerügt. Darin gab die Redaktion Gesundheitstipps zu Beschwerden wie Heuschnupfen oder Husten und empfahl jeweils ein rezeptfreies Medikament. Ein journalistisches Alleinstellungsmerkmal der Präparate war nicht erkennbar. Die namentliche Nennung der Arzneien geht über das öffentliche Interesse hinaus und überschreitet damit deutlich die Grenze zur Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex.
Statistik
Insgesamt behandelt wurden 88 Beschwerden, wovon 49 als begründet und 34 als unbegründet erachtet wurden. Zu den Maßnahmen zählen 7 öffentliche Rügen, 11 Missbilligungen und 22 Hinweise. 9 Beschwerden waren begründet, es wurde aber auf eine Maßnahme verzichtet, weil die Redaktion ihre Berichterstattung bereits korrigiert hatte. Bei 5 Fällen handelte es sich um Wiederaufnahmeanträge bzw. Einsprüche.
Den aktuellen Stand der Rügen-Veröffentlichungen aus den vergangenen Sitzungen können Sie hier einsehen:
https://www.presserat.de/ruegen-presse-uebersicht.html#2022
Zum Pressekodex:
https://www.presserat.de/pressekodex.html