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Totes Flüchtlingskind am Strand ein Dokument der Zeitgeschichte

Der Presserat hat auf der Sitzung des Beschwerdeausschusses 1 am 02.12.2015 wegen schwerer Verstöße gegen den Pressekodex neun öffentliche Rügen ausgesprochen. Als Dokument der Zeitgeschichte bewertete der Ausschuss die Fotos des ertrunkenen Jungen, dessen Leichnam an einem Strand in Bodrum gefunden worden war. Es lagen 19 Beschwerden gegen diverse Zeitungen/Zeitschriften vor, die den Jungen in ihren Print- und Onlineausgaben gezeigt hatten. Alle Beschwerden erachtete der Ausschuss als unbegründet. Die Aufnahmen des Kindes sind nicht unangemessen sensationell und nicht entwürdigend.

Der vierjährige Junge war auf der Flucht mit seiner Familie über das Mittelmeer ertrunken. Das Bild löste vielfältige Emotionen aus und hatte weltweit Diskussionen über Flüchtlingspolitik angestoßen. Aus Sicht des Beschwerdeausschusses steht das Foto symbolisch für das Leid und die Gefahren, denen sich die Flüchtlinge auf ihrem beschwerlichen Weg nach Europa aussetzen. Die Dokumentation der schrecklichen Folgen von Kriegen, der Gefahren des Schlepperwesens und der Überfahrt nach Europa begründet ein öffentliches Interesse. Das Gesicht des Kindes ist nicht direkt zu erkennen. Seine Persönlichkeitsrechte werden nicht verletzt.

Als unbegründet erachtete der Ausschuss auch die Beschwerden zum Foto der toten Flüchtlinge in einem Lastwagen, das verschiedene Boulevardzeitungen veröffentlicht hatten. 71 Menschen waren in einem von Schleppern gefahrenen Lastwagen erstickt. Aus Sicht des Ausschusses handelt es sich hier um die Berichterstattung über ein schweres Verbrechen. Hieran besteht ein öffentliches Interesse.

Die Redaktion dokumentiert mit dem Foto nach Meinung des Ausschusses die schreckliche Realität, ohne die abgebildeten Menschen zu entwürdigen. Diese sind auch nicht identifizierbar. Der Beschwerdeausschuss hält das Foto für furchtbar. Dennoch darf die Realität gezeigt werden, solange die Darstellung nicht unangemessen sensationell ist in dem Sinne, dass die Opfer erneut zu Opfern werden. Das ist hier nicht der Fall. Die Berichterstattung lenkt den Fokus auf die Gefahren und Probleme, mit denen Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa konfrontiert sind. 20 Beschwerden lagen dem Presserat hierzu vor.


Eine Rüge erhielt der MANNHEIMER MORGEN wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 1 und 8 des Pressekodex. Die Zeitung hatte unter der Überschrift „Ein Spaß für Kreuz- und Querdenker“ ein Sommerrätsel veröffentlicht und darin nach der Herkunft einer jungen Frau gefragt, die ermordet und missbraucht worden war. Zudem hatte die Zeitung den Vornamen und abgekürzten Nachnamen des Opfers genannt und ihr Foto abgedruckt. Der Ausschuss beurteilte dies als Verletzung der Würde und des Persönlichkeitsschutzes des Opfers. Zugleich erkannte er eine Beschädigung des Ansehens der Presse. Zwar hatte die Zeitung den Fehler eingeräumt, eine öffentliche Entschuldung gegenüber den Lesern war aber unterblieben.

Wegen eines Verstoßes gegen Ziffer 1 des Kodex (Menschenwürde) wurde TV MOVIE Online gerügt, die auf ihrer Facebook-Seite ein Quiz unter dem Titel „Ex-Kinderstar wegen Ausbeutung verklagt“ veröffentlicht hatte. Zur Auswahl standen vier verschiedene ehemalige Kinderstars. Der Leser konnte raten, welcher in ein Verfahren verwickelt ist. Die Spekulation mit einer Straftat als Quiz hält der Ausschuss für eine menschenunwürdige Methode und einen schweren Verstoß gegen den Kodex.

Gegen das DELMENHORSTER KREISBLATT wurde eine Rüge wegen der Veröffentlichung eines Leserbriefs ausgesprochen. Der Verfasser hatte darin Homosexualität als „abartige Lebensform“ bezeichnet und sie in die Nähe von Straftaten gerückt. Diese Darstellung ist diskriminierend und verstößt gegen Ziffer 12 des Pressekodex. Verletzt wurde auch Richtlinie 2.6 Pressekodex, nach der bei der Veröffentlichung von Leserbriefen die publizistischen Grundsätze zu beachten sind.

Eine schwerwiegende Verletzung der Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) rügte der Ausschuss in der Veröffentlichung eines Videos auf BILD Online. Gezeigt werden im Meer schwimmende Menschen, die sich an Wrackteile klammern und von einem Schiff aus nach und nach erschossen werden. Das Video war offensichtlich von den Tätern selbst erstellt worden, die nach der Tat vor der Kamera posierten. Die Schussszenen mit den getroffenen Opfern wurden zum Teil verpixelt. Eine journalistische Einordnung des Geschehens im Video findet nicht ausreichend statt. In der konkreten Veröffentlichungsform geht die Berichterstattung nach Ansicht des Ausschusses über das Informationsinteresse hinaus und dient vor allem der Befriedigung von Sensationsinteressen.

BILD (Berlin) und B.Z. wurden wegen eines Verstoßes gegen Ziffer 2 (Sorgfalt) gerügt. Die Publikationen hatten zur Illustration einer Berichterstattung über (angebliche) Missstände in einem Brandenburger Tierheim im Mai 2015 zumindest teilweise auf mindestens ein Jahr altes Fotomaterial von verwahrlosten Tieren zurückgegriffen. Die Fotos waren bereits in einer ähnlichen Berichterstattung über das Tierheim im April 2014 veröffentlicht worden. Einen Bericht über die aktuelle Situation mit Archivfotos zu belegen, ohne die Leser über das Alter der Fotos aufzuklären, ist nach Auffassung des Beschwerdeausschusses ein schwerer Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht.

Eine Rüge wegen Schleichwerbung erhielt TV HÖREN UND SEHEN. Die Zeitschrift hatte einen Artikel über Schlafprobleme veröffentlicht und dabei die Vorzüge eines bestimmten Wirkstoffs geschildert. Direkt beigestellt war dem Beitrag eine Anzeige für ein Schlafmittel, das genau diesen  Wirkstoff enthält. Der Beschwerdeausschuss sah in der engen räumlichen Nähe von Anzeige und redaktionellem Beitrag die Grenze zur Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 des Pressekodex als überschritten an, da die Werbewirkung der Anzeige durch die positive redaktionelle Darstellung des Wirkstoffs verstärkt wird.


Ebenfalls wegen Schleichwerbung gerügt wurde die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG wegen der Veröffentlichung eines Fotos mit Unterzeile auf der Titelseite. Das Bild zeigte zwei junge Frauen mit Regenschirmen, auf die ein Stadtplan von Leipzig aufgedruckt ist, vor dem Kaufhof in Leipzig. In der Bildunterzeile hieß es, dass der Schirm u. a. bei Kaufhof für 19,99 Euro erhältlich sei. Mit der Veröffentlichung wurde die Grenze zur Schleichwerbung überschritten, da ohne redaktionelle Begründung eine einzelne Bezugsquelle hervorgehoben wurde.


Gerügt wurde auch die Zeitschrift PETRA, die in einer Beilage von der Redaktion ausgewählte „32 Sommer-Bücher“ vorgestellt hatte. Dabei wurden jedoch ausschließlich Bücher einer einzigen Verlagsgruppe präsentiert. In dieser Konzentration auf einen einzelnen Anbieter sah der Beschwerdeausschuss Schleichwerbung für dessen Produkte.

 

Die Ergebnisse: 9 öffentliche Rügen, 7 Missbilligungen und 17 Hinweise. 6 Beschwerden wurden als begründet bewertet, auf eine Maßnahme wurde jedoch verzichtet, 90 Beschwerden wurden als unbegründet erachtet.

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