Vermischung von Werbung und Redaktion erneut im Brennpunkt
Insgesamt vier öffentliche Rügen erteilte der Presserat auf seinen Sitzungen am 01. und 03.03.2005 aufgrund von Verstößen gegen den in Ziffer 7 des Pressekodex festgehaltenen Trennungsgrundsatz.
Mehrere redaktionelle Beiträge der ABENDZEITUNG (München) enthielten Schleichwerbung. So wurde u.a. unter der Überschrift „Der totale Durchblick: Brille für fünf Euro“ Werbung für einen Optiker gemacht, der einige Brillenmodelle für diesen Preis anbot. Name und Ort des Geschäfts wurden ebenso genannt wie bekannte Markennamen von Brillenherstellern. Im Rahmen eines Berichts über die Büroeröffnung einer Fluglinie in München wurden auch Angaben zu Reiseangeboten veröffentlicht. Dies war eindeutig Schleichwerbung. Gleiches gilt für den Artikel über ein Gewinnspiel eines Münchener Radiosenders, bei dem auf die Hersteller der Preise hingewiesen wurde.
Ziffer 7:
Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken.
AUDIMAX wurde wegen der Erwähnung eines Medikaments im Rahmen eines Artikels über Sodbrennen öffentlich gerügt sowie wegen Schleichwerbung für einen Online-Dienst, der Handygimmicks anbietet. Die Zeitschrift AUGSBURGER NEWS verstieß gegen den Trennungsgrundsatz mit dem Angebot an einen Kunden, einen redaktionellen Beitrag zu veröffentlichen, wenn der Kunde eine entsprechende Anzeige schaltet. Das E-LEARNING JOURNAL schließlich bot potenziellen Kunden den Kauf von redaktionellen Beiträgen an.
Der Presserat kündigte an, im Herbst ein öffentliches Hearing zu dem Thema zu veranstalten und mit Redakteuren, Wissenschaftlern und PR-Leuten die hochaktuelle Problematik der Vermischung von Redaktion und Werbung zu diskutieren.
Ein weiterer Schwerpunkt bei den Rügen lag bei Verstößen gegen das Diskriminierungs-verbot. Das STRAUBINGER TAGBLATT wurde gerügt, da es einen Leserbrief unter der Überschrift „Der Kluge geht, bevor das Böse kommt“ abgedruckt hatte. Der Leserbriefschreiber behauptet darin, es sei ein naiver Traum zu glauben, dass sich die bei einem EU-Beitritt verstärkt nach Deutschland kommenden Türken integrieren würden: „denn Sure 4,89 des Koran fordert alle Moslems auf, jene zu töten, die nicht an Allah glauben.“ Damit wird indirekt allen Türken unterstellt, potenzielle Mörder zu sein. Dies ist diskriminierend im Sinne von Ziffer 12 des Pressekodex. Der Kodex fordert zudem in Ziffer 2 Richtlinie 2.6, auch bei der Veröffentlichung von Leserbriefen die Publizistischen Grundsätze zu beachten. Nach Meinung des Beschwerdeausschusses ist dies bei der Veröffentlichung des Leserbriefes nicht geschehen.
Ziffer 12:
Niemand darf wegen seines Geschlechts oder seiner Zugehörigkeit zu einer rassischen, ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.
Die WELT und die BERLINER MORGENPOST erhielten je eine öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen Ziffer 12. In einem identischen Kommentar hatten die Zeitungen den Tod eines Kleinkindes aufgegriffen, dessen Eltern Veganer sind. Der Kommentar konnte aus Sicht des Presserats bei Lesern den Eindruck hervorrufen, die Eltern hätten die Grundsätze veganer Ernährung höher gestellt als das Leben ihres Kindes und sie hätten damit den Tod des Kindes verursacht. Zugleich stellt der Kommentar einen Bezug zu den Mördern des niederländischen Politikers Pim Fortuyn her. Einer von ihnen sei ebenfalls Veganer. Durch die Gesamtdarstellung kann nach Überzeugung des Gremiums der diskriminierende und vorverurteilende Eindruck erweckt werden, die Anhänger veganer Ernährung seien bereit, Menschenleben zugunsten ihrer Lebensregeln auszulöschen oder zu opfern.
Die Zeitschrift WILD UND HUND erhielt ebenfalls wegen eines Verstoßes gegen die Ziffer 12 des Kodex eine öffentliche Rüge. Sie hatte in einer Glosse über Schlingensteller behauptet, bei den Tätern handele es sich „um Angehörige einer ethnischen Minderheit, und zwar einer mitgliederstarken Landfahrersippe aus Rumänien“. Diese Aussage wurde mit einem fiktiven Dringlichkeitsantrag der Grünen verknüpft. Darin sagten die Grünen angeblich, dies seien „Praktiken der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, und man solle doch gleich ein zweites Auschwitz bauen, wenn man sich den Angehörigen dieses sympathischen Völkchens entledigen wollte“. Die vorgeblich scherzhafte Verknüpfung der Sinti und Roma mit Auschwitz ist aus Sicht des Presserats geeignet, die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft zu verhöhnen und die Gruppe der als Zigeuner verfolgten Menschen zu diskriminieren.
Gegen die Menschenwürde verstieß nach Überzeugung des Presserats ein Beitrag des STERN, in dem ein Programmverantwortlicher von RTL auf der Basis von Hörensagen in herabwürdigender Weise charakterisiert wurde.
Ziffer 1 fordert:
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.
Die PEINER ALLGEMEINE ZEITUNG wurde öffentlich gerügt, weil sie ohne Gegenrecherche einem Verwaltungsbeamten einen menschenverachtenden Alleingang bei der Abschiebung einer vietnamesischen Familie vorgeworfen hatte. Die Zeitung hatte die Verantwortung für das Abschiebungsverfahren undistanziert dem namentlich genannten Beamten zugeordnet, ohne die Verantwortlichkeiten anderer Beteiligter ausreichend zu prüfen. Damit hatte die Zeitung den Mann in seiner Ehre verletzt. Die Veröffentlichung verstieß gegen die Ziffern 2 und 9 des Pressekodex.
Die SÄCHSISCHE ZEITUNG verstieß gegen die Sorgfaltspflicht (Ziffer 2 des Kodex) und das Persönlichkeitsrecht (Ziffer 8) in einem Artikel über einen nicht namentlich genannten, aber für einen großen Personenkreis identifizierbaren ehemaligen Zoobesitzer. Dieser, so die
Zeitung, habe einhergehend mit der Insolvenz seines Unternehmens mehrere Tiere aus seinem Zoo verspeist. Der Presserat hatte bereits in einem früheren Beschwerdeverfahren festgestellt, dass dies ein aus der Luft gegriffener Vorwurf ist und die damalige Berichterstattung gerügt. Darüber war auch die SÄCHSISCHE ZEITUNG informiert. Sie verbreitete dennoch erneut die falsche Behauptung.
Die BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG verstieß mit der Berichterstattung über den Neubau eines Einkaufszentrums gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2. Sie hatte über einen längeren Zeitraum über die geplante Wiederherstellung der Fassade des abgerissenen Braunschweiger Schlosses vor einem dahinter geplanten Einkaufszentrums berichtet. Dabei hatte sie immer wieder von einer Rekonstruktion und einer Kopie des Schlosses gesprochen. Dies ist aus Sicht des Presserats falsch und für die Leser irreführend, weil die geplante Wiederherstellung eines eher zweidimensionalen Bauobjekts tatsachenwidrig als dreidimensionaler historischer Baukörper dargestellt wird.
Insgesamt haben die beiden Kammern des Beschwerdeausschusses 96 Beschwerden bearbeitet und neben den 12 öffentlichen Rügen noch 19 Missbilligungen und 16 Hinweise ausgesprochen. 38 Beschwerden wurden als unbegründet abgelehnt. Im Beschwerdeausschuss Redaktionsdatenschutz wurde eine Beschwerde als unbegründet abgelehnt.